: Die Entwicklung des Planeten
STOFFWECHSEL Kohle oder Windkraft? Flugzeuge oder Autos? Man ist kurz König des großen Ganzen, wenn man in der Ausstellung Energie = Arbeit in der Stiftung Brandenburger Tor einen neuen Energiemix im Modell simuliert
VON CARSTEN JANKE
Kann das wahr sein? Im Film „Die Truman-Show“ von 1998 entdeckt der Hauptdarsteller Truman Burbank nach 29 Jahren, dass sein ganzes Leben in einem riesigen Fernsehstudio spielt. Der Zeitungsverkäufer benimmt sich plötzlich seltsam, der Busfahrer, die Nachbarin – alles Komparsen, die Trumans Illusion einer heilen Welt aufrechterhalten sollten. Seit ich die Ausstellung „Energie = Arbeit“ gesehen habe, erscheint mir auch mein Leben plötzlich wie eine Art Truman-Show.
60 Komparsen für jeden
Die Lebensweise eines durchschnittlichen Westeuropäers beansprucht so viel Energie, als würden 60 Menschen rund um die Uhr für ihn arbeiten. 60 Mal so viel, wie unser Körper an Energie umsetzen kann, verbrauchen wir im täglichen Leben – für Infrastruktur, Wohnen, Mobilität. Wir leben also energetisch weit über unseren Verhältnissen und das zeigt die Ausstellung „Energie = Arbeit“, die von der Stiftung Brandenburger Tor präsentiert und von der Gruppe Prototypen kuratiert wurde.
Sie geht dabei wunderbar anschaulich vor. Im ersten Teil erfahren wir etwas über die 100 Watt, die der menschliche Körper täglich benötigt, für Bewegung, Ernährung und das Denken. Zwei Scheiben Toastbrot kosten 5 Cent, haben 200 Kalorien und halten meinen Körper ungefähr so lange auf Betriebstemperatur, wie es dauert diesen Text zu schreiben. Entgegen der landläufigen Meinung verbraucht man nämlich auch bei angestrengtem Nachdenken kaum mehr Energie. Von solch eher physikalischen Rechenspielen ausgehend, kommt die Ausstellung schnell zu den größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen.
An einem Bildschirm lässt sich anhand der persönlichen Wohn-, Reise- und Konsumgewohnheiten der eigene Energiebedarf ausrechnen und man bekommt dafür einen Energieausweis ausgestellt. Ich liege unter dem deutschen Durchschnitt und verbrauche so viel wie ein Mensch in Aserbaidschan. Für mich müssen also nur 29 Komparsen den ganzen Tag schuften.
Im zweiten Teil der Ausstellung merkt man schnell, dass auch das nichts nützen wird. Wir leben in einer 6.000-Watt-Gesellschaft, für die eine gut beheizte Wohnung, ein eigenes Auto, Bananen aus Ecuador sowie ab und zu ein Billigflug nach London zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Zum Vergleich, im Tschad stehen den Menschen etwa 11 Watt zur Verfügung. Die Folgen dieser Entwicklung werden auf einem interaktiven Globus, dem wohl schönsten Objekt der Ausstellung, schockierend klar und mit Händen greifbar.
Doch die Ausstellung biegt hier nicht in Pessimismus ab. Im dritten Teil geht es um die Vision einer neuen Energiewelt, in der die Energie gerecht verteilt und der Klimawandel begrenzt worden ist. 2.000 Watt stünden dann allen zur Verfügung. Man kann an großen Modellen von Energie-Landschaften seinen eigenen Energiemix simulieren. Kohle- oder Windkraft? Flugzeuge oder Autos? Man ist kurz König des großen Ganzen.
Anleitung für die Zukunft
Aber auch für die individuelle Verantwortung auf dem Weg in die neue Welt gibt es Anleitungen. Wärmedämmung, Konsumveränderung, Recycling sind die Stichworte – keinesfalls nur Verzicht.
Doch an Verzicht muss man dann doch noch einmal denken bei der Erzählung der Geschichte der Osterinsel. Jeder kennt die gewaltigen Steinköpfe in der kahlen Landschaft der Pazifikinsel. Am Anfang stand die Frage, wie das die Inselbewohner damals gemacht haben, Riesenaufwand, kaum Energieressourcen. Die Forscher fanden heraus, dass die Insel früher von einem üppigen Palmenwald bedeckt gewesen sein muss. Die Bewohner scheinen sich allerdings um das Jahr 1010 entschlossen zu haben, diesen für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Sie fällten die Palmen oder nutzten ihre Asche für den Anbau von Nahrungsmitteln. Aber sie nutzten weit mehr, als die Natur es hergab. Der Boden erodierte, die Nahrungsgrundlage verschwand, die Bevölkerung ging rapide zurück. Heute gehört die Osterinsel zu den artenärmsten Inseln des Pazifiks und hat damit die Entwicklung unseres Planeten gewissermaßen in Miniaturform vorweggenommen.
Wem die komplexe Welt, in der wir nun einmal leben, wichtig ist und wer die Weltrettung nicht, wie die FAZ vor einigen Tagen, für „Ablasshandel, Bluff und Selbstbetrug“ hält, der kann in der Ausstellung „Energie = Arbeit“ eine Menge lernen. Sie schafft es mit großer Detailliebe, die Erzeugung und Verteilung von Energie als das Problem unserer Zeit greifbar zu machen.
■ „Energie = Arbeit“, Ausstellung im Max-Liebermann-Haus, bis zum 13. Februar, Mi–Mo 10–18 Uhr, Sa + So 11–18 Uhr