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Archiv-Artikel

Weihnachts-Gene

Ein Sohn, der renitent blöde grinst, genau wie der Vater, und eine hässliche, ewig verrotzte, kleine fette Tochter. Das passte alles nicht, das lief aus dem Ruder

Sie sollen wissen, dass ich es nicht bereue. Und bestimmt sind Sie mit mir einer Meinung: Ich hatte gar keine andere Wahl. Es ist ja nun schon einige Jahre her. Niemand kuckt mich mehr mitleidig an und so. Ich kriege auch keine Post mehr von Leuten, die mich trösten oder gar heiraten wollen. Ich lebe einfach so vor mich hin, und das wirklich Wahnsinnige ist, wie leicht es sich so lebt, trotzdem. Manchmal denke ich, dass ich mir das alles nur ausgedacht habe. Aber ich besitze die Zeitungsausschnitte. Wollen Sie mal reinschauen? Hier, ich habe sie in meiner Tasche, ich schleppe sie immer mit mir rum. Seltsam, nicht wahr?

Wissen Sie, ich bin mit allen Fasern meiner Seele eine Weihnachtsfrau. Verstehen Sie? Also, ich kann das wirklich alles sehr gut, ich möchte sagen, perfekt. Und zwar die ganze Bandbreite: Lebkuchen und Stollen backen, Marzipankonfekt, Gänsebraten, Hirschragout, Kartoffelsalat, Karpfen – was auch immer Sie wollen. Den Tannenbaum geschmackvoll schmücken, Weihnachtskarten selbst entwerfen, stimmungsvolle Kerzenbeleuchtungen aus Transparentpapier basteln, Honigwabenkerzen rollen, filigrane Sterne aus Goldfolie schneiden. Und die Geschenke aussuchen und schön einpacken, all das eben. Mein Apfelrotkohl ist ein Gedicht, sagt man. Mein Spekulatius zergeht Ihnen auf der Zunge, wollen Sie mal einen probieren, nein?

Ich konnte das damals auch schon perfekt. Ungelogen. Glauben Sie bitte nicht, dass ich angebe oder übertreibe. Gewöhnlich habe ich immer erst Anfang November mit den Weihnachtsvorbereitungen begonnen. Man muss ja dann richtig einen Plan machen, wenn man eine Familie hat, die Weihnachtsfeiern im Betrieb, in der Schule, im Kindergarten, die Nikolausüberraschungen, die kleinen Aufmerksamkeiten für die Nachbarn. Die kamen immer gerne zu uns auf eine Tasse Kaffee oder einen Glühwein, wenn es kalt wurde draußen. Ich bin aber dort weggezogen, klar. Das war besser so.

Wissen Sie, mir war deutlich geworden, dass das alles keinen Sinn hatte mit diesem Mann und mit diesen Kindern. Er hat ja immer mal gekifft, und das wurde ihm dann zum Verhängnis. Und natürlich das Glatteis. Mehr will ich nicht sagen, ich kenne Sie ja nicht besonders gut.

Können Sie sich vorstellen, wie das ist? Wenn man wirklich alles umwerfend gut vorbereitet und organisiert und die eigene Familie interessiert sich nicht dafür? Die haben das ignoriert, die haben Videos gekuckt und Hamburger geholt an Weihnachten. Sie passten einfach nicht mehr dazu, ehrlich. Das war der Einfluss von dem Mann, von ihrem Vater. Von mir hatten sie nichts, gar nichts, die Kinder. Aus denen wäre sowieso nichts geworden. Da bin ich ganz sicher.

Es war nur noch eine Qual: ein kiffender Ehemann, der sich am Weihnachtsabend nicht einmal umzieht. Und ich hatte Servietten bestickt, mit Tannenzweigen und Wichteln auf Damast. Ein Sohn, der renitent blöde grinst, genau wie der Vater, und eine hässliche, ewig verrotzte, kleine fette Tochter. Das passte alles nicht, das lief aus dem Ruder. Es ist besser so. Meine Tochter sah sogar in ihrem Samtkleid noch aus wie ein Monster.

Nein, ich hatte ansonsten mit Weihnachten nie ein Problem. Nur eben, dass diese Kinder und dieser Mann da nicht für geeignet waren. Das waren keine Weihnachtskinder, überhaupt nicht, und mein Mann war ein grober, ungehobelter Klotz, was das betrifft. Keine Kultur. Der hatte das nicht im Blut, und die Kinder hatten seine Gene. Die sind ja nicht einmal mit in die Kirche gegangen. Darüber haben sie Witze gemacht. Die Geschenke haben sie aufgerissen wie wilde Tiere. Und wie die geschlungen haben, da war nichts Weihnachtliches möglich mit denen. Das war einfach Pech, die passten nicht zu mir. Ich habe mir das ein paar Jahre angekuckt und dann einen Schlussstrich gezogen. Ich bin sehr froh, dass alles so gekommen ist. Wissen Sie, wenn es nicht hätte sein sollen, hätte auch nachhelfen nichts ausgerichtet. Das war schon eine Fügung von oben, ganz bestimmt.

Nehmen Sie doch einen Keks! Möchten Sie wirklich nicht ein einziges Stück Spekulatius? Er ist frisch. Ich habe immer eine kleine Blechdose in meiner Tasche. Meine Weihnachtskekse sind berühmt, wirklich, ich habe damit schon Preise gewonnen. Ja, ich backe die jetzt das ganze Jahr durch. Seitdem. Bei mir zu Hause riecht es jetzt immer nach Zimt und Mandelkern. Sehr gemütlich. Ich habe auch einen Adventskranz, einen frischen. Doch, das kann meine Blumenhändlerin organisieren, die ist sehr engagiert. Ich spende auch jedes Mal für die armen Kinder in Afrika, wenn ich mir einen Neuen hole, so alle vier Wochen. Sehen Sie, das konnte ich mir früher nicht erlauben. Jetzt ist alles gut, wie es ist. Ich bin sehr dankbar dafür. KATJA LEYRER