Oh Herr, wirf Pasta vom Himmel!

Spaßguerilla ist out, nun kommt die Spaßreligion. Der Glaube an das Spaghettimonster verbreitet sich rasend schnell. Nudelpriester Spaghettus zählt bereits 13 Schäfchen. Ziel der Satire-Kirche: den christlichen Fundamentalismus stoppen

„Wir sind alle streng-gläubige Atheisten und wollen einen Heidenspaß haben“

VON SEBASTIAN KRETZ

Auf dem Wohnzimmertisch steht eine leere Flasche Beck’s, darin eine vergammelte Zahnbürste. Dreizehn junge Leute lümmeln auf alten Sofas und diskutieren. Thema: Wie kann man die Welt verbessern? „Wir müssen die Leute auf der Straße überzeugen“, sagt der Student und leert noch eine Flasche. „Man muss in die Kirchen gehen und die Menschen ansprechen“, meint die Schülerin und blickt Hilfe suchend zu dem fliegenden Monster hoch, das seine Tentakel auf einem Poster an der Wand ausstreckt. Die Mitbewohner in der Küche bekommen nichts davon mit, sie kochen Spaghetti für alle. Stellen Sie sich so den Alltag einer Studenten-WG vor?

Ganz falsch: Es ist die Gründungsmesse einer neuen Religion. Die Bierflasche ist eine heilige Reliquie, die Nudeln dienen als Abendmahl, und das Bild an der Wand stellt Gott dar – den Gott der Pastafaris. Die glauben, dass ein fliegendes Spaghettimonster die Welt erschaffen hat. Bruder Spaghettus nennt sich der Zeremonienmeister der Pastafaris, er trägt einen langen Rauschebart und eine wallende rote Kutte. Um den Hals des rundlichen 55-Jährigen baumelt an einer Kette das handtellergroße Abbild des göttlichen Nudelhaufens. Im profanen Leben heißt er Rüdiger Weida, ein freundlicher Mann mit fröhlichen Augen, der in Templin als Sozialpädagoge arbeitet.

Ein grimmiger Patriarch nach biblischem Vorbild ist der Nudelpriester trotz Bart und Kutte also nicht: „Wir sind alle strenggläubige Atheisten und wollen einen Heidenspaß haben“, erklärt Spaghettus seine Weltanschauung.

Der Satire-Priester Spaghettus kann sich jedoch blitzschnell in den Religionskritiker Rüdiger Weida verwandeln. Dann sprudeln aus seinem Mund plötzlich handfeste Argumente gegen die „Privilegien der christlichen Kirchen“. Dem Mann ist es ernst: Katholiken und Protestanten besetzten vererbbare Sitze in Medienausschüssen und hätten Sonderrechte an Schulen und im Militär. Ihre sozialen Organisationen würden zu 98 Prozent vom Staat finanziert. Diese Vorrechte räumten ihnen unverdienten Einfluss auf die Menschen ein. Zur Wendezeit war Weida zunächst begeistert vom Engagement der Kirchen. „Dann fiel mir auf, dass auch die Kirchen nur ihre Macht erhalten wollen. Seitdem stehen sie für mich auf einer Stufe mit der SED.“

Die Pastafaris haben durchaus ernsthafte Ziele – nicht nur in Deutschland. Ihr „Prophet“ Bobby Henderson ist Amerikaner und protestiert mit der Satire-Religion gegen den Kreationismus. Die Vertreter dieser fundamentalistischen Spielart des christlichen Glaubens haben an zahlreichen US-Schulen durchgesetzt, dass die Schöpfungsgeschichte („creation“) gleichberechtigt zur Evolutionstheorie gelehrt wird – im Biologieunterricht. Auch an zwei deutschen Gymnasien hätten Lehrer bereits bibeltreue Biostunden gegeben. Nach einem kritischen TV-Beitrag ruderten sie aber zurück.

Politisch korrekte Kritik ist die Sache der Pastapriester aber nicht. Auch sie haben ihr Opium fürs Volk. „Unser glorreicher Prophet hat nachgewiesen, dass die Klimaerwärmung mit dem Niedergang des Piratentums in der Karibik einhergeht“, erklärt Weida. Schlicht und brillant sind die Wahrheiten der Pastafaris.

Um den Kampf gegen die Klimaerwärmung zu unterstützen, tragen die Nudeljünger Augenklappen, Papageien sitzen auf ihren Schultern, manche sind gar mit Pappsäbeln bewaffnet. Die Niederländer brauchen also nicht um ihr Land zu bangen, wenn nur die Spaghettigemeinde fleißig wächst.

Und zur Weltreligion ist es nicht mehr weit. Bruder Spaghettus schmiedet die bislang versprengten Brandenburger Gemeinden und die Berliner Jünger zu einer länderübergreifenden Glaubensgemeinschaft zusammen – gut bürgerlich als eingetragener Verein, versteht sich. Zur Gründungsmesse der Landeskirche Berlin-Brandenburg erschienen immerhin 13 Mitglieder aus vier Gemeinden.

Der 55-Jährige versteht den Pasta-Glauben vor allem als humanistisches Projekt. „Das Allerschlimmste an Religionen ist, dass sie für alles eine Antwort bieten. So findet keine Entwicklung statt.“ Spaghettus dagegen ermuntert seine Pastafaris zu zweifeln: „Unsere Religion kennt keine Dogmen.“

Daher gebe es auch keine Gebote, sondern lediglich acht Bitten an die Schäfchen. Die beginnen alle mit „Es wäre mir irgendwie lieber, wenn …“ und enthalten Anmerkungen wie „Wenn irgendwelche Leute nicht an mich glauben, ist das echt okay. Ich bin nicht so eitel.“

Bevor die Messe beginnt, werden die acht Bitten feierlich verlesen. Dann erklärt Pastafari Tom noch schnell, warum die Gemeinde eine heilige Bierflasche verehrt: „Das Monster selbst warf sie einst vom Himmel, als wir einen Freiluft-Gottesdienst abhielten.“ Vielleicht wollte es einen kleinen Vorgeschmack auf das Pastafari-Paradies geben, in dem ein Biervulkan eruptiert. Wie die Zahnbürste in die göttliche Buddel gelangt sei, wisse allerdings keiner mehr so genau.

Gottesdienst und Abendmahl sind eins in der Nudelkirche: Die Schwestern und Brüder tragen Teller voller Spaghetti Bolognese herein, dazu wird neues Bier gereicht. Im Chor sprechen die Pastafaris ihr „Monsterunser“, dann verspeisen sie ihren Gott. „Wir haben darüber diskutiert, ob es blasphemisch ist, Spaghetti zu essen. Aber eigentlich ist uns das egal“, demonstriert Bruder Spaghettus die pragmatische Grundhaltung seiner Kirche.

Bei den Pastafaris herrscht Basisdemokratie. Schwester Elli Spirelli setzt sich dafür ein, dass künftig auch Kartoffeln als Nudeln durchgehen, Bruder Tom wünscht sich die Anerkennung der Chinapfanne. Einem ins Wohnzimmer torkelnden Piraten ist das alles nicht so wichtig: „He-ho, und ’ne Buddel voll Rum.“

Spaß geht vor – auch mit der Kirchenkritik wollen es die Spaghetti-Jünger nicht übertreiben, „Wir haben überhaupt nichts dagegen, Feiertage anderer Religionen mitzumachen“, so Spaghettus. Dann erklärt der unerschütterliche Kritiker des Christentums, er wolle noch ein Weilchen in Berlin bleiben – um Weihnachtsgeschenke zu kaufen.