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Archiv-Artikel

Der Institutsleiter in der Niederlassung

PROJEKTRÄUME Stefan Riebel ist Mastermind des „Instituts für alles Mögliche“. Dessen Name ist Programm: Riebel will künstlerische Aktivitäten initiieren mit offenem Ergebnis. Jetzt feiert das Institut seinen vierten Geburtstag

„Ich stelle nichts her, was man anfassen und verkaufen kann. Dass Kunst einen exakten finanziellen Gegenwert haben soll, finde ich eher befremdlich“

STEFAN RIEBEL

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Stefan Riebel scheinen die vakanten Räume so zuzulaufen wie anderen streunende Katzen oder unzuverlässige Liebhaber. Als der Künstler 2010 nach Berlin kam nach seinem Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, gelang ihm auf Anhieb etwas, womit sich andere Neuberliner monatelang herumplagen. Er fand eine Unterkunft, wie er sie sich vorgestellt hatte: eine Ladenwohnung im Wedding, die ihm sowohl als Wohnung wie als Atelier dienen konnte. Und in der er bald begann, mit Künstlerfreunden zusammenzuarbeiten.

Weil ein Ausstellungsort nicht genug ist, suchte sich Riebel schnell einen zweiten Raum, ebenfalls im Wedding. Und weil der Künstler dafür kein striktes Konzept aufstellen, sondern sie als Räume für experimentelle Kunst betreiben wollte, nannte er das ganze „Institut für alles Mögliche“. Das feiert diese Woche seinen vierten Geburtstag.

Der erste Raum ist heute die „Zentrale“ seines imaginären Instituts, die zweite Weddinger Adresse dessen „Berliner Niederlassung“. In Mitte wurde in der ehemaligen Galerie Art Acker eine „Abteilung für alles andere“ eröffnet, an der Neuköllner Sonnenallee ein „Büro für bestimmte Dinge“. Inzwischen betreibt der 31-Jährige noch zwei Räume in Leipzig: das „Ministerium“ und die „Zuständige Behörde“. Eine Außenstelle in Stockholm soll demnächst dazukommen, eventuell auch eine Werkstatt in Weißensee, die als „Betriebsgelände“ zum Co-Working-Space ausgebaut werden soll.

Eine Art Residency

All das managt Riebel ehrenamtlich mit Hilfe seiner Schwester, Praktikanten und zwei vom Arbeitsamt bezahlten Kräften. Seinen Lebensunterhalt verdient er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leipziger Kunsthochschule. Die Miete seiner aktuell fünf Räume wird dadurch bezahlt, dass er sie für kurze Perioden an ausländische Künstler vermietet. Als Ferienwohnungen für Kreative will er das nicht verstanden wissen. Dafür seien sie viel zu billig: Die Miete soll nur die Unkosten für den Betrieb des Instituts decken. Das Ganze sei eher eine Art Residency-Programm, bei dem Ausstellungen und Projekte entstehen sollen.

Und den eingeladenen Künstlern solle es „nicht ums Verkaufen gehen“, sagt er, sondern darum, diese „Freiräume für Experimente und Versuche“ zu nutzen. „Ich stelle auch nichts her, was man anfassen und verkaufen kann. Dass Kunst einen exakten finanziellen Gegenwert haben soll, finde ich eher befremdlich“, so der Konzeptkünstler. Mit dem Institut für alles Mögliche will er daher – der Name ist Programm – künstlerische Aktivitäten mit offenem Ergebnis initiieren.

So wurden im Institut schon Ausstellungen auf USB-Sticks gezeigt, für die jeder Kunstdateien auf dem eigenen Flashdrive mitbringen konnte. Jeden Monat findet die Roboter-Hausmusik statt, bei der musizierende Maschinen zusammengebastelt werden. Beim „Berlin Art Battle“ spielen Künstler gegeneinander Backgammon oder mit der Carrera-Bahn. Die meisten Ausstellungen sind Experimente, die scheitern können, und dauern nur wenige Tage. Für Riebel soll das Institut ein „Möglichkeitsraum“ sein, „in dem Erfahrungen, Verknüpfungen und Austausch stattfinden können“, nicht endgültige Meisterwerke festgeklopft werden. Etwa 150 Ausstellungen, Performances, Vortragsabende und Partys hat er in vier Jahren organisiert, schätzt er. Ihre genaue Zahl weiß er nicht.

So hat sich das Institut für alles Mögliche im Laufe der Zeit zu Riebels größtem künstlerischen Projekt entwickelt, obwohl er gleichzeitig als Künstler immer noch erstaunlich produktiv ist und Medieninstallationen, Performances und Webarbeiten schafft. Aber das Institut ist für ihn eine eigene soziale Skulptur geworden, „die sich langsam durch die ganze Stadt gräbt“. Und deren Betrieb nur wenig mit Konzeptkunst, aber viel mit handfester Arbeit zu tun hat.

Riebel fängt an, die verschiedenen Positionen aufzuzählen, die er als Institutsleiter ausfüllen muss: Kurator, Bauarbeiter, Maler, Manager, Aufbauhelfer, Pressesprecher, Webmaster, Barmann, Buchhalter, Hausmeister, Reinigungskraft und Wäschedienst. Und wenn die vortragende Künstlerin Probleme mit ihrer Powerpoint-Präsentation hat, guckt er, was mit dem Computer los ist. „Manchmal frage ich mich schon, warum ich das alles eigentlich mache“, sagt er.

Das Institut ist nur einer der vielen Projekträume, die in Berlin bestehen. Ihre genaue Zahl weiß niemand, aber die meisten wursteln sich mit ähnlichen Methoden der Selbstausbeutung so durch – wenn auch niemand sonst mit so vielen Räumen und Veranstaltungen wie Riebel. Die französische Kunstwissenschaftlerin Séverine Marguin hat 2011 in einer Studie über die Berliner Projekträume konstatiert, dass sie „eine zentrale und oftmals unterschätzte Rolle im Kunstfeld“ spielen, weil sie jungen Künstlern die erste Gelegenheit geben, ihre Arbeit zu zeigen. Jedenfalls sind sie eine Berliner Spezialität: In keiner anderen westeuropäischen Metropole ist es noch möglich, mit vergleichbar geringen Mitteln einen Kunstraum zu betreiben.

„Wir locken Bioläden an“

Oft sind die Projekträume freilich erste Vorboten einer Aufwertung von Wohnquartieren, wie derzeit in Nord-Neukölln, Wedding und Moabit zu beobachten ist. Über diesen Aspekt seiner Projekträume ist sich auch Riebel im Klaren und hat darum gleich noch eine virtuelle „Agentur für beschleunigte Gentrifizierung“ im Internet aufgemacht. Auf deren Website heißt es: „Wir richten trendige Offspaces und Galerien ein. Wir betreiben angesagte Cafés, Bagelläden, Bars & Clubs. Wir locken Bioläden und Kitas an. Wir machen Szeneviertel. Wir sind viele.“

Das Institut im Netz: www.i-a-m.tk