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Archiv-Artikel

Vom rotierenden Hamsterrad in den Tod

Trotz Buh-Stürme beim „Fliegenden Holländer“ durfte Barrie Kosky im Essener Aalto-Theater wieder ran. Wagnerianer hatten Baldriantropfen dabei. Der Rest lauerte auf weitere Skandale. Doch Kosky wendet die Spannung in „Tristan und Isolde“ nach Innen und zeigt eine ruhig ästhetisierte Inszenierung

VON REGINE MÜLLER

Exakt acht Monate ist es her, da verstörte der australische Regisseur Barrie Kosky das verwöhnte Essener Publikum mit seiner Lesart von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“. Der Holländer sei eine Oper des Sehens, gab Kosky damals zu Protokoll und ließ prompt manchem die Augen übergehen an einer drastischen Chor-Orgie, dargeboten von einer Schar geklonter „Sentas“. Ungeachtet der Buhstürme durfte Kosky in Essen erneut ran. Diesmal gar an das, was manchem Wagnerianer das Allerheiligste ist: „Tristan und Isolde“.

So lag etwas Lauerndes in der Luft, als Intendant Stefan Soltesz seinen Arbeitsplatz im Orchestergraben bezog und den Taktstock zu jenem berühmten Vorspiel hob, das gemeinhin als Initialzündung der Moderne gilt. Die „Handlung in drei Aufzügen“ – wie Wagner ironisch seine in Wahrheit riesenhafte Oper nannte – hat ausreichend Vorlagen fürs Skandalöse. Aus Blut, Mord, Rache, Eifersucht und der alles verzehrenden Leidenschaft zwischen den Protagonisten, die in der nahezu den ganzen zweiten Akt währenden Liebesnacht besungen wird, wären Provokationen auf der Bühne leicht zu haben. Doch Kosky enttäuscht die Lauernden. Er begegnet Wagners Rausch-Oper mit ruhigen, ungeheuer ästhetischen Bildern und wendet die Dauerspannung des Werks buchstäblich nach innen. „Tristan und Isolde“ sei eine Oper, die „besessen“ ist vom „Vorgang des Lauschens und Hörens“, äußert Kosky im Programmheft und verweist auf Stimmen aus der Ferne, die sich durch die Oper ziehen.

Der riesige Schalltrichter eines Grammophons, einer Maschine ferner Stimmen also, beherrscht denn auch die winzige Schiffskabine des ersten Aktes, in der Isolde wie ein gefangenes Tier ausharrt. Den winzigen quadratischen Würfel, der die klaustrophobische Kabine beherbergt, hat Bühnenbildner Klaus Grünberg auf halber Bühnenhöhe so installiert, dass er in einem riesigen schwarzen Raum zu schweben scheint. In dieser Einmannkabine vollzieht sich der ganze erste Akt. Hier empfängt Isolde Tristan und trinkt mit ihm den Liebestrank. Doch die Liebe weitet den Raum nicht, im zweiten Akt ist aus der quadratischen Schiffskabine ein Art Raumschiff geworden. Wieder ein beengter Raum, ikonographisch geschmückt mit einer Obstschale und einer Deckenlampe in Lilienform, die bekanntlich als Todesblumen gelten. Alsbald kippt der silbern leuchtende Würfel und dreht sich im Verlauf des endlosen Liebesduetts mehrfach um die eigene Achse. Und die Sänger müssen mit. Balancieren auf Schrägen, kauern, liegen, stehen wieder auf und laufen immer weiter mit in diesem seltsamen Hamsterrad in der grenzenlosen Einsamkeit des schwarzen Weltraums – sie sind zwei Verlorene, die doch nicht zusammen kommen. Kosky zeigt statt fleischlicher Lust scheue Annäherung, die in einer sanften Umarmung im Schlaf gipfelt.

Im finalen dritten Akt weitet sich dann doch noch der Blick: Der zentrale, perspektivisch noch einmal verengte Würfel ist nun Tristans Krankenzimmer. Auf der Bühne verteilt sich indes eine Schar hölzerner Weihnachtskrippen-Schafe, ein paar Schäfer stehen stumm dabei. Zuletzt springt der sterbende Tristan endlich aus dem Würfel heraus, der sich daraufhin verkleinert und im Nichts verschwindet. Im Nichts, auf der leeren Bühne endet schließlich der Abend mit Isoldes Liebestod.

Diese sparsamen, doch starken Bilder füllt Kosky mit konzentrierter und präziser Personenführung, die nichts dem Zufall überlässt. Seine Vision vom schwerelosen Kammerspiel befindet sich im besten Einklang mit Stefan Soltesz‘ musikalischer Deutung. Nimmt er das Vorspiel noch sehr langsam, setzt er im Verlauf auf elektrisierende Verflüssigung, kammermusikalische Durchhörbarkeit und pulsierende Tempi. Die Essener Philharmoniker folgen ihm dabei mit Verve und präsentieren sich in Festspielform. Penibel hat Soltesz auch mit den Sängern gearbeitet und sie auf schlanken, lyrisch getönten Wagner-Gesang eingeschworen.

Das kommt Jeffrey Dowds „Tristan“ enorm zugute. Er ist von Haus aus kein Heldentenor und macht aus der Not eine kultivierte Tugend. Manchmal droht er zwar in den Klangfluten unterzugehen, dafür ist man aber hoch beglückt, im Liebesduett endlich mal keinen pressenden Schreihals erdulden zu müssen. Die Königin des Abends aber ist Evelyn Herlitzius, die als mädchenhaft zierliche „Isolde“ mit dem ranken „Tristan“ ein höchst attraktives Paar abgibt. Herlitzius scheint auf dem Zenit ihres Könnens und beeindruckt mit lyrischer Linie, gleißenden Spitzentönen und souveräner Gestaltung. Imponierend auch Ildiko Szönyis „Brangäne“, Heiko Trinsingers nobler „Kurwenal“ und Marcel Roscas orgelnder „König Marke“. Großer Jubel für alle Beteiligten, keine Gegenstimmen. Eine beeindruckende Gesamtleistung, würdig einer der Europäischen Kulturhauptstädte 2010.

17. und 23. DezemberAalto-Theater, EssenKarten: 0201-8122200