: „Weihnukka“ für die Progressiven
Weihnachts-Varianten (1): Wir haben Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften gefragt, ob sie sich nicht doch heimlich einen Weihnachtsbaum in die Stube stellen. Eine Antwort von Daniel Haw, dem Leiter des Hamburger jüdischen Theaters Schachar
Zunächst einmal ist es natürlich nicht Weihnachten, was wir Juden in dieser Zeit feiern, sondern Chanukka. Chanukka bedeutet Lichterfest und erinnert an den Sieg der makkabäischen Juden Palästinas gegen die hellenisierten Juden – sowie an die damit verbundene Wieder-Einweihung des Tempels um 164 v. Chr. Damals wollte man zur Einweihung die Chanukkia, den neunarmigen Chanukka-Leuchter, anzünden. Aber es gab nur noch Öl für einen Tag. Durch ein Wunder hat es aber für acht Tage gereicht – und dieses Wunder wird seither gefeiert. Zufällig wie Weihnachten zum Jahresende, und wie für Weihnachten gibt es da einerseits die amerikanisierte Form des Feierns – mit Riesenpartys und Galadiners, aber auch das besinnliche Familienfest.
Früher wurden den Kindern während des Chanukka-Festes acht Tage lang kleine Geldgeschenke gemacht. Heute konzentriert sich das auf ein, zwei Tage, an denen es ordentlich Geschenke gibt, und nicht bloß ein Taschengeld. Chanukka beginnt in diesem Jahr am 16.12. und endet witzigerweise am 23.12. Wenn man interreligiös ist, kann man also gleich weiterfeiern.
Wie man Chanukka konkret feiert, ist dann eine familiäre Frage. Wenn bei uns alle da sind, zünden wir Abend für Abend eine Kerze an. Angezündet wird die mit einer neunten Kerze, der Dienerkerze, die vorher gesegnet werden muss. Dann sitzen wir zusammen, erzählen uns Geschichten und lesen uns irgendetwas vor. Es gibt viele Chanukkamärchen, außerdem essen wir spezielle Backwaren, zum Beispiel Berliner.
Eine Struktur und einen ausgesprochenen Höhepunkt haben die acht Chanukka-Tage nicht. Jeder Tag ist gleich bedeutsam. Das Ganze markiert diese Zeitspanne, während derer das Öl brannte in der Chanukkia, bis die Juden damals Zeit gefunden hatten, neues Öl zu gewinnen und zu segnen. Aber man kann natürlich sagen, dass – im Sinne der alten Geschichte – die Spannung mit jedem Tag steigt: Schaffen sie es, das Öl noch koscher zu machen, oder hören die Kerzen am siebten Tag auf zu brennen?
Was das Feiern betrifft, gibt es natürlich Überschneidungen – besonders in jüdisch-christlichen Familien. Da feiern wir öfter mal das, was wir unter uns „Weihnukka“ nennen. In meinem Fall ist es so, dass die nicht jüdische Mutter meiner Tochter – wir sind geschieden – mit ihr Weihnachten feiert. Dazu werde ich eingeladen, und da gehe ich auch hin. Denn meine Tochter freut sich, wenn ich komme. Fremd fühle ich mich unter dem Weihnachtsbaum nicht – wobei ich das heute gelassener sehe als noch vor Jahren.
Diesbezüglich gibt es natürlich verschiedene Fraktionen innerhalb der jüdischen Community. Die nicht ganz ernste Formulierung „Weihnukka“ benutzen meistens die progressiven Juden. Die orthodoxen Juden nehmen das nicht ernst oder sind sogar erbost deswegen. Das ist für die einfach indiskutabel, was ich auch verstehe. Aber das ist ja das Schöne im jüdischen Glauben: dass das großenteils Privatsache ist. Kein Jude darf dem anderen vorschreiben, was Judentum ist.
Musik gibt es beim Chanukkafest auch – wobei interessant ist, dass einige auch in Deutschland bekannte Weihnachtslieder eigentlich Chanukka-Lieder sind. Ein Beispiel habe ich jetzt nicht parat, aber diese Lieder handeln von dem Glück, dass der Tempel errettet wurde – und dass eine neue Ära beginnt. Raumschmuck wie bei den Christen gibt es – außer dem Chanukka-Leuchter – nicht. Ich selbst habe eine Chanukkia aus Silber. Aber die ist mir zu klein. Und da ich hier im Norden geboren bin und eine starke Affinität zum Norden hege, baue ich mir in diesem Jahr eine Chanukkia aus Tannenzweigen. Da kommt dann allerdings nicht der Christstern rein, sondern der Davidstern. PROTOKOLL: PS/FOTO: DPA