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Archiv-Artikel

Schlingensief gegen Rassistenschweine

PUNK II Christoph Schlingensief hat über 40 Filme gedreht. Gezeigt werden sie in einer Retro im Babylon. Am Samstag lief „Terror 2000“

Bei Aufführungen von „Terror 2000“ hatte es kleinere Skandale gegeben, Säureanschläge, Angriffe auf Filmvorführer im Namen des Guten

Am 6. November begann im Babylon die erste vollständige Retrospektive der Filme von Christoph Schlingensief. Gezeigt wurden und werden dabei nicht nur die Filme, die der am 21. August 2010 verstorbene Allroundkünstler ins Fernsehen oder in die Kinos brachte, sondern auch die Super-8-Filme, die er als Kind und als Schüler gemacht hatte, die Filme, die in Bühnenarbeiten integriert waren, sowie viele Interviewschnipsel, in denen er über seine Filme spricht.

Von 1968 bis 1997 hat Schlingensief 45 Filme gedreht. Sein letzter, „Freakstars“, entstand 2003. Am Samstag wurde „Terror 2000“ (1993) im kleinen Studio des Babylon gezeigt. Der Film, der wie alle Schlingensief-Arbeiten sehr direkt, expressiv und trashig tagespolitische Ereignisse verarbeitete – das Geiseldrama von Gladbeck, 1988, die Überfälle auf Asylbewerberheime nach 1989, den ganzen Nachwenderassismus – ist rückblickend bedeutsam, weil er die Zeit beendete, in der Schlingensief ausschließlich als jüngster Vertreter des Neuen Deutschen Films tätig war. Indirekt führte der Film zu seinem Engagement an der Volksbühne. Am Buch hatte auch Oskar Roehler mitgearbeitet.

Dabei begann „Terror 2000“ mit einer Enttäuschung. Schlingensief hatte den Film beim Forum der Berlinale eingereicht. Die Jury hatte ihn abgelehnt. Dietrich Kuhlbrodt, ein alter Freund von Ulrich Gregor und Teil der Schlingensief-Familie, hatte erboste Briefe/Faxe geschrieben. Die Leute vom Forum waren wohl hin- und hergerissen; eigentlich schätzte man Schlingensief und hatte in den Jahren zuvor drei seiner Filme – „Menue Total“ (1986), „Egomania – Insel ohne Hoffnung“ (1987) und „100 Jahre Adolf Hitler – die letzte Stunde im Führerbunker“ (1989) – im Programm gehabt. Aber „Terror 2000“ hatte man schlimm gefunden. Erika Gregor hätte jahrelang nicht mehr mit ihm gesprochen, nachdem sie den Film gesehen hatte, erzählt Schlingensief in einem kurzen, 2003 gedrehten Interview zum Film.

Bei späteren Kinoaufführungen hatte es dann kleinere Skandale gegeben, Säureanschläge, Angriffe auf Filmvorführer im Namen des Guten, weil der Film angeblich frauenfeindlich etc. sei. In jener Zeit hatte es überhaupt eine gewisse Zensurneigung von Teilen der Linken gegeben.

Mathias Lilienthal, der damals noch als Westler unter Ostlern und Dramaturg an der Volksbühne tätig war, erzählte einführend über diese Zeit. Er sei also damals nach Mühlheim gefahren und habe Schlingensief gefragt, ob der nicht Lust hätte, in der Volksbühne was zu machen. In seinem Selbstverständnis war Schlingensief damals aber Filmemacher und fand Theater blöd. Weil zwischen zwei Filmen jedoch immer viel Zeit ist, sagte er zu: „Warum nicht“, blieb aber noch eine Weile in Mülheim wohnen.

Seine erste Inszenierung an der Volksbühne „Hundert Jahre CDU“ war im Grunde genommen ein Remake des Films. „So toll“ war das Stück nicht gewesen, die Kritiken waren miserabel, die meisten Kollegen an der Volksbühne fanden das Stück auch schlecht, mochten Schlingensief aber als Person. Als dieser allerdings ab der vierten oder fünften Vorstellung einen von ihm selbst gesprochenen Verzweiflungsmonolog einbaute, wurde es gut, sagt Lilienthal.

Dass Schlingensief seine Stücke beständig aktualisierend veränderte, wurde zum Markenzeichen seiner Theaterarbeit. Nie gab es eine endgültige Fassung, und die Premiere war nie die beste Version. Um dem Regisseur tatsächlich gerecht zu werden, hätte man sich eigentlich alle Aufführungen anschauen müssen, und Schlingensief beklagte sich auch manchmal, dass kaum jemand dazu Zeit fand.

Es ist seltsam, sich 17 Jahre danach „Terror 2000“ noch einmal anzuschauen. Was Anfang der 90er ein lebendiger, wütend-trashiger Kommentar zum Zeitgeschehen war, ist nun historischer, also irgendwie stillgestellter Teil eines Werkes, das bis zu Christoph Schlingensiefs Tod im Fluss war. Damals war „Terror 2000“ als pubertärer Trash beschimpft wurden, nun gehört der Film zur Kulturgeschichte der Neunzigerjahre. Und mit dieser Distanz wurde der Film nun auch von denen genossen, die ihn damals vehement abgelehnt hatten. Sie amüsierten sich nun im Babylon über tatsächlich sehr komische Passagen.

DETLEF KUHLBRODT