: Kippenberger gegen Yuppie-Wixxer
PUNK Der Künstler Martin Kippenberger war nicht nur eine Zeit lang Geschäftsführer des SO36, er nahm auch selbst Musik auf. Eine neue Edition stellt nun das vergessene und vergriffene musikalische Werk des Punk-Meisters vor
VON ANDREAS HARTMANN
Martin Kippenberger wurde nach seinem Tod im Jahr 1997 zum international gefeierten Künstler. Jetzt gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der „Neuen Wilden“. In Berlin weiß heute fast jeder, dass er Anfang der Achtziger außerdem eine Zeit lang Geschäftsführer des SO36 war, für das er auch Flyer und Programme gestaltete in seinem berühmten „Büro Kippenberger“.
Der umtriebige Künstler war der Andy Warhol der enorm produktiven Berliner Geniale-Dilletanten- und Punkszene, die sich in der damaligen Mauerstadt herausgebildet hatte. Kippenberger gestaltete Plattencover für befreundete Musiker und Bands, er zeigte im SO36 Super-8-Filme aus New York und ließ diese von Lydia Lunch musikalisch untermalen. Die Ästhetik des Punk prägte seine Kunst, und umgekehrt beeinflusste seine Kunst die hiesige Punkszene.
Deutschland hatte die RAF, England den Punkrock, das behauptete die englische Anarcho-Punkband Crass einst. Dabei hatte Deutschland unter anderem die Frühachtziger-Szene in Berlin, wo Musik und Kunst, Fluxus und Marxismus, Happening und Performance miteinander verschmolzen. Später entwickelte sich daraus die Technoszene Berlins, die Kippenberger Mitte der Neunziger zu einer Beuys-Hommage anregte. Er stellte Beuys’ Sprech-Stück „Ja, Ja, Ja, Nee, Nee, Nee“ nach und unterlegte es mit einem Technobeat.
Trotz der Bedeutung der Musik für Kippenberger und der Kippenbergers für Punk in Berlin ist fast vergessen, dass er auch Platten veröffentlichte und Konzerte gab. Kippenberger beherrschte zwar nicht wirklich ein Instrument, aber das war in den guten alten Punkzeiten auch nicht so wichtig. Er klopfte gerne auf einem Schlagzeug herum, das machte ihm Spaß und das reichte.
Das Berliner Label Edition Kröthenhayn würdigt nun in einer fulminanten Werkschau den Musiker Kippenberger, dessen akustisches Werk wohl den meisten Bewunderern seiner Kunst bislang unbekannt war. Zwar veröffentlichte Kippenberger kurz vor seinem Tod selbst auf Eigenlabel seine gesammelten musikalischen Darbietungen auf der CD „Greatest Hits“, doch diese ist längst vergriffen. In einer hübschen Box wird nun auf drei Schallplatten das musikalische Schaffen des Meisters wieder zugänglich gemacht.
Dazu gibt es ein Begleitbuch mit Texten alter Weggefährten wie Wolfgang Müller und Frieder Butzmann, außerdem Abbildungen diverser Kippenberger-Singles mit Kippenberger-Covers, die längst teure Sammlerstücke sind. Das Ganze erscheint, wie es sich für eine echte Edition gehört, in einer limitierten Auflage von nur 1.000 Stück.
Zu behaupten, mit der Kippenberger-Box würde jetzt endlich ein weiterer Schatz der Berliner Punkbewegung erneut geborgen, wäre in musikalischer Hinsicht allerdings etwas übertrieben. Der New Yorker Musiker und Kunstkritiker Alan Licht verortet zwar beispielsweise die einzige jemals erschienene Single der Band Luxus, die Kippenberger Ende der Siebziger mit Christine Hahn von Malaria betrieb, in der Nähe der einflussreichen New Yorker No-Wave-Bewegung. Vor allem aber legt das komische Schlagzeuggeklöppel zur sägenden Gitarre nahe, dass Kippenberger bei der Aufnahme vielleicht wirklich das erste Mal in seinem Leben hinter einem Drum-Set saß.
Trotzdem beweist Kippenberger in seinem überschaubaren musikalischen Werk ungemeinen Einfallsreichtum und einen Willen zu stilistischen Veränderungen, der fast schon bowiesk wirkt. Denn schon bald geht es völlig weg vom Dilletanten-Punk. Sinatras „My Way“ wird zu „The Way Out“. „Yuppi Du“ von 1984 ist dann ein typischer Achtziger-Jahre-Popsong, fast schon NDW, mit einer halligen Produktion, in dem Kippenberger den oberflächlichen Yuppie-Lifestyle der angebrochenen Kohl-Ära ironisiert und den späteren Kanzler der Einheit an einer Stelle einen „Wixxer“ nennt.
So wie die hintersinnige Collagenmalerei Kippenbergers heute immer noch enormen Spaß macht, gleichzeitig aber auch ein wenig überholt wirkt angesichts der Tatsache, dass jede Ausgabe des Coolness-Magazins Vice gestalterisch voll mit typisch Kippenberger’schen Aha-Effekten ist, so ergeht es einem auch bei dieser Musik. Sie wirkt immer noch originell, aber der Musiker Kippenberger blieb eben immer auch Künstler. Die Geste war oft wichtiger als das musikalische Ergebnis und das hört man dann auch.
Wenn es schließlich irgendwann losgeht mit Kippenbergers Jazzversuchen, die er zusammen mit seinem ebenfalls Jazz-begeisterten Malerkumpel Albert Oehlen in ihrem gemeinsamen Golden Kot Quartet unternahm, dann lässt sich nur noch sagen: Künstlerisch motivierter Dilettantismus hat im Jazz nichts zu suchen. Da Kippenberger sowieso nie ein guter Schlagzeuger war, konnte er einfach nur ein umso schlechterer Jazz-Schlagzeuger sein. Was Kippenbergers Jazz betrifft: Ich kann beim besten Willen keinen Jazz entdecken.
Martin Kippenberger: Musik 1979–1995 (Edition Kröthenhayn). 59,90 Euro