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Archiv-Artikel

„Wir brauchen kritische Leute“

Wolfram Weiße, Gründungsdirektor der Hamburger „Akademie der Weltreligionen“, will Dialogkompetenz und Toleranz fördern. Und einen Islam-Schwerpunkt setzen. Derzeit tut er das als Leiter des Zentrums „Weltreligionen im Dialog“. Es ist als Vorläufer der ab 2009 geplanten Akademie gedacht

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Herr Weiße, wie weit ist die „Akademie der Weltreligionen“ gediehen? Bislang existiert lediglich das der Uni Hamburg angegliederte Zentrum „Weltreligionen im Dialog“.

Wolfram Weiße: Dieses Anfang 2006 gegründete Zentrum stellt eine Vorstufe dar und soll, wenn wir auf ein Volumen an Stellen und Forschungsmitteln kommen, das die Umbenennung rechtfertigt, zur „Akademie der Weltreligionen“ werden.

Was bietet das Zentrum derzeit?

Wir veranstalten Vorlesungen und Fortbildungen – in diesem Wintersemester zum Beispiel die Ringvorlesung „Religiöse Differenz als Chance“. Außerdem haben wir 1,5 Mio Euro an Forschungsmitteln eingeworben. Es ist zum ersten Mal gelungen, einen Antrag bei der EU durchzusetzen, der sich mit Religion und Bildung in mehreren europäischen Ländern beschäftigt. In diesem Rahmen werden wir eruieren, was Religion im Zusammenleben von SchülerInnen zwischen 14 und 16 Jahren bedeutet.

Wird dieser erziehungswissenschaftliche Ansatz auch für die Akademie zentral sein?

Unter anderem, ja. Denn ich vermute, dass Stereotypen oder Nichtwissen am leichtesten über schulische Bildung aufgebrochen werden können.

Weitere Facetten des Konzepts der Akademie?

Wir wollen in der islamischen Theologie neue Denkräume eröffnen. Ich halte es für wichtig, zu einer aufgeklärten, historisch-kritischen islamischen Theologie Zugang zu finden.

Soll die Akademie also auch vor dem Fundamentalismus der Zukunft schützen?

Das ist eine Zielrichtung, die auch eine Rolle spielt, die aber nicht der Ausgangspunkt war. Die Akademie soll in erster Linie auf wissenschaftlichem Gebiet zur Orientierung und Aufklärung beitragen. Dies kann nicht mit fundamentalistischer Engstirnigkeit einher gehen.

Wie wird das Studium an der Akademie strukturiert sein?

Es ist an einen Aufbaustudiengang gedacht, in dessen Rahmen man sich auf eine Religion spezialisieren kann. Dialogkompetenz wird im Zentrum stehen. Deshalb muss man von Anfang an auch in den anderen Religionen Veranstaltungen belegen. Auch die Dozenten müssen regelmäßig Veranstaltungen mit Kollegen aus den anderen Disziplinen durchführen.

Man könnte die These vertreten, manche Religionen seien derzeit toleranter als andere. Was will man da per Dialog erreichen? Es ist, wie es ist.

Ich glaube nicht. Wenn man sich global umschaut, wird man in allen Religionen sehr unterschiedliche Spielarten finden. Und hier wollen wir die Strömungen in den Blick zu nehmen, die keine Angst haben, sich anderen zu öffnen. Denn Dialog bedeutet für uns nicht, dass man sich abgrenzt, sondern ich erfahre auch über meinen eigenen Hintergrund mehr, wenn ich sehe, wie andere sich definieren. Abgesehen davon gibt es in allen Religionen Entwicklungsprozesse. Denn sie werden durch Menschen geprägt, weshalb wir uns auch der Frage widmen, wie religiöse Gemeinschaften im öffentlichen Bereich so agieren können, dass nicht Parallelgesellschaften entstehen, sondern ein Prozess des wechselseitigen Kennenlernens etwa im Stadtteil.

Zentral wird also der gesellschaftspolitische Aspekt sein. Wo bleibt da die Wissenschaft?

Wir werden beides verbinden. An einer Universität sind wir ja verpflichtet, intensiv Forschung zu betreiben, aber die bewegt sich nicht im luftleeren Raum, wie es früher zum Teil üblich war. Forschungsprojekte finden in einem gesellschaftlichen Kontext statt, und Grundlagenforschung kann wichtige Impulse geben für die Praxis.

Sie erwähnten eben den progressiven Ansatz der Akademie. Wird sich das auf die Berufungspraxis auswirken?

Wir streben ein Profil an, das im Westen anschlussfähig ist und nicht stehen bleibt bei einem Wissenschaftsverständnis, das man oft in der muslimischen Orthodoxie findet. Kurz gesagt: Wir können uns nicht mit einem Import aus Ankara zufrieden geben, sondern brauchen kritische Leute, die sehr solide die Grundlagen der Religion kennen und fähig sind, sich zu öffnen.

Das könnte doch ein Import sein – ein Mensch, der in Ankara nicht lehren darf etwa.

Das ist durchaus möglich. Aber es wird nicht der typische Fall sein. Gut vorstellen könnten wir uns aber, Lehrende etwa aus Südafrika zu berufen – Muslime, die in einem Staat leben, in dem der Islam Minderheitenreligion ist. Sie werden eher einen Blick dafür haben, wir die muslimische Minderheit sich in einem demokratischen Staat verhalten und weiterentwickeln kann.

All das klingt nach einem Islam-Schwerpunkt der Akademie.

Es liegt sicher ein Schwerpunkt auf dem Islam, der drittgrößten Religion. Dessen Erforschung wissenschaftlich zu unterfüttern ist unser Ziel, sodass ein Dialog auf Augenhöhe auch zwischen Wissenschaftlern stattfinden kann. Aber wir werden genauso auf das Judentum und den Buddhismus zugehen.

Können Sie sich vorstellen, dass die Ergebnisse Ihrer progressiven Islam-Forschung rückwirken in konservative Milieus im Ausland?

Genau das wird ja von muslimischen reforminteressierten Theologen immer gefragt: Tut Ihr in Europa was? Denn nur von den Rändern aus kann es auch eine Veränderung in den Zentren muslimischer Länder geben. Und deshalb wird das, was wir hier tun, nicht nur eine Bedeutung für Hamburg haben, sondern auch sich auch auswirken auf das theologische Selbstverständnis und das Leben von Muslimen in anderen Staaten.

Wann wird die Akademie startbereit sein?

Das interdisziplinäre Zentrum war ja bereits ein indirekter Start. Samt einer Koordinatorenstelle, die eine Stiftung für fünf Jahre finanziert. Außerdem sehen wir uns derzeit an der Uni nach zusätzlichen Ressourcen um, ebenso bei Stiftungen. Sobald wir so viel akquiriert haben, dass eine Umbenennung gerechtfertigt ist, werden wir das tun – hoffentlich in den nächsten zwei Jahren.

Welche Abschlüsse wird es geben?

Wir sind auf Bachelor- und Master-Studiengänge eingestellt.

In welchen Bereichen werden die Absolventen dann arbeiten?

Einerseits wollen wir ein Lehrangebot etablieren, das offen ist für die, die Religionslehrer werden wollen. Zweitens sollte es der Studiengang auch offen sein für Wirtschaftswissenschaftler, Juristen. Außerdem sollen Imame aus anderen Ländern hier einen zusätzlichen Abschluss machen können, um sich einzufinden in den religiösen Pluralismus westlicher Gesellschaften.

Ist das Konzept einer „Akademie der Weltreligionen“ einzigartig in Deutschland?

Es gibt zwar an einigen Universitäten ähnliche Bemühungen – die Religionspädagogik in Erlangen etwa oder die Religionskunde in Münster. Unser dialogorientiert Ansatz ist allerdings bislang einzigartig.