Programmierte Selbstauflösung im Namen der Kunst

Der Wiener Künstler Hans Bernhard ist Stipendiat des Oldenburger Edith-Russ-Hauses für Medienkunst. Als Mitglied der Künstlergruppe ubermorgen.com bereitet er eine schleichende Übernahme der Suchmaschine Google vor und klaut bei Amazon Bücher aus dem Netz – um danach die Hacker-Software an den digitalen Buchhändler zu verkaufen

„Ich scheiße auf die moralische Seite“, sagt Hans Bernhard. „Als Künstler muss man was Perverses machen.“ Als Medien-Robin Hood hat er sich nie gesehen, als er mit der Künstlergruppe „ubermorgen.com“, die aus ihm und seiner Frau Lizvlx besteht, zum Hacker-Angriff auf den Mega-Buchhändler Amazon blies.

Man stelle sich einen alten Bauernhof in den Schweizer Alpen mit einem Internet-Anschluss vor. Am Computer ein stiernackiger Typ in Cargohosen und Kapuzenjacke. Drumherum Kinderspielzeug und Kekskrümel. Drei Monate im Jahr ziehen sich Hans Bernhard und Lizvlx, die gerade ihr zweites Kind erwarten, in die Einsamkeit zurück. Sonst leben sie in Wien, denn „da oben ist es urfad für Kinder“. Für die Eltern nicht. Mit einem Internet-Anschluss kann man überall arbeiten.

Ubermorgen.com haben mit Hilfe zweier italienischer Programmierer eine Software entwickelt, die Amazons „Search-Inside“-Funktion mit ihren eigenen Waffen schlägt: Durch fortgesetzte Schlüsselwort-Anfragen lädt der Roboter nach und nach das ganze Buch herunter. 3.000 Bücher haben ubermorgen.com auf diese Weise gehackt. Dann haben sie die Software an Amazon verkauft, wo sie nun unnütz, aber in Sicherheit vor Bücherschnorrern verstaubt. „Das ist der Höhepunkt des Experiments“, schwärmt Bernhard. „Wenn du da politisch rangehen würdest, könntest du das nicht machen, den Bösen in die Hände zu arbeiten.“

Aber Hans Bernhard findet Amazon, eine Hüterin des veraltenden Copyright-Verständnisses „Buch gegen Geld“, gar nicht böse, sondern einen super Service. Genau wie Google, die ubermorgen.com davor ins Visier genommen haben. Die Suchmaschinen-Magnaten allerdings haben sich auf keinen Deal eingelassen, sondern den Netzkünstlern den Kampf angesagt: Bei einer Google-Suche sind die beiden nur auf Umwegen zu finden, ihre Websites tauchen gar nicht auf. “Die haben uns ausgeschlossen“, ereifert sich Bernhard. „Das ist ein Skandal. Das können die nicht machen, wenn sie sich als neutrale Informationsprovider bezeichnen.“

Stein des Anstoßes ist das Projekt “Google will eat itself“: Ubermorgen.com platzieren Google-Anzeigen auf ihren Webseiten. Ein Roboter verdient Geld damit, dass er auf diese Anzeigen klickt, und die erzielte Summe wird prompt in Google-Aktien investiert. In 202 Millionen Jahren, haben ubermorgen.com errechnet, hat sich Google in einem „autokannibalistischen Selbstauffressungsprozess“ den Künstlern übereignet.

Für den Media-Hack „Amazon Noir“ hat Hans Bernhard ein Stipendium des Oldenburger Edith-Russ-Hauses für Medienkunst bekommen. Die Jury reizte, dass ubermorgen.com „auf die Scheinheiligkeit der Lobby für digitales Urheberrecht“ hinweise. Das Projekt trete als performative Medienaktion „in einen direkten Austausch mit Institutionen der Medien-, Rechts- und Geschäftswelt und deren Verkaufspolitik“.

Die Anschub-Finanzierung für „Amazon Noir“ kommt also vom nicht kommerziell orientieren Medienkunst-Haus, der finale Geldsegen von der kommerziellen Gegenseite. Prima Deal eigentlich. „Die Geldgeber haben ja auch ihren Benefit“, verteidigt sich Hans Bernhard. „Jeder kann mit dem Projekt machen, was er will. Die Förderer haben es halt in einen politischen Kontext gestellt.“

Jetzt arbeitet Bernhard in Oldenburg daran, “Amazon Noir“ auf dem Kunstmarkt zu platzieren: arbeitet Vorträge aus und transformiert es in die gute, alte, analoge Form, die sich in Museen und Galerien zeigen lässt. Oder verkaufen – auch ein Netzkünstler kann nicht bloß von Projektförderung leben. So wird ein gehacktes, ausgedrucktes Buch als Trophäe im Museum laden.

Annedore Beelte

Heute, 20 Uhr, stellt Hans Bernhard „Amazon Noir“ im Edith-Ruß-Haus, Katharinenstr. 23, Oldenburg vor