: Robbie als Goethe’scher Faust
Plato und Pop, Leistungssport und Marktwirtschaft: Peter Prange hat europäische „Werte“ in eine Anthologie geklemmt, die vor konservativem Eurozentrismus strotzt
Wir Europäer sind schon ein eigenartiges Völkchen. Wir Europäer sind so multikulti, weltoffen und tolerant, dass Wir Europäer uns glatt bei ein paar wilden Fundamentalisten entschuldigen, anstatt ihnen mal gehörig den Marsch zu blasen. Schließlich haben Wir Europäer „Himmel und Erde entdeckt, das Universum und die Kontinente der Welt. Wir haben die Demokratie und den Rechtsstaat erfunden, den Humanismus und die Menschenrechte, die Gleichheit von Mann und Frau, den Leistungssport und die soziale Marktwirtschaft, die Polyphonie und die Popmusik.“ Und natürlich haben Wir Europäer noch Werte.
Werte, die endlich mal anständig zwischen zwei Buchdeckel geklemmt gehören. Dachte sich der Romanautor Peter Prange und veröffentlichte zusammen mit dem Philologieprofessor Frank Baasner und dem Autor Johannes Thiele schnurstracks das Buch, das wieder Kultur und Ordnung in unsere aufgewühlte Zeit bringen, uns wieder zu unserem „Wertekosmos, der uns von allen anderen Kulturen unterscheidet“, führen soll, einer „Kultur, die ein Bekenntnis verdient“.
„Werte. Von Plato bis Pop. Alles, was uns verbindet“ heißt das Buch, und schlimmer hätte es kaum kommen können. Die Anthologie von Texten europäischer Dichter und Philosophen, Theologen und Musiker, Mythologen und Wissenschaftler aus über zwei Jahrtausenden mag zwar teilweise schön und abwechslungsreich zu lesen sein, zumindest als Zitate-Nachschlagesammlung oder als Fundus, um seine Mails mit ein paar schicken Signaturen zu beschließen. Die Intention ist jedoch die schlimmste Form von konservativem Eurozentrismus, von überheblicher Selbstbeweihräucherung, von leutseligem Lehrergequatsche, die man sich nur ausmalen kann. Dabei gehe es ihm keinesfalls um eine europäische Leitkultur, onkelt Autor Prange im Vorwort, sondern um „eine Kultur der Gegensätze, der produktiven Spannungen“, die zu haben sei via Rückbesinnung auf Werte, die längst da seien. Also doch: eine neue Dimension der Kulturhegemonie.
Um das alles noch mal persönlich an den Mann zu bringen (apropos: Von rund 220 AutorInnen der Anthologie sind knapp 20 Frauen – puh, zum Glück haben irgendwelche Heiden Schleier, Beschneidung und Burka erfunden), baten Prange und Verlag am Dienstag zum Diskussionsfrühstück im eleganten Restaurant Tucher, ganz nach alter europäischer Sitte: Wir Europäer haben ja wahrscheinlich auch das Brötchen und die Servierschürze erfunden. So saßen die JournalistInnen kauend um den sich biegenden Tisch und hörten zu, wie Aiman Mazyek vom Islamischen Zentralrat eine lobhudelnde Vorrede auf Pranges Wertewerk hielt und brav die globale Generalisierbarkeit der europäischen Werte unter Beweis stellte. Das muss der Neid ihm lassen: Der Mann klang nicht einfach nur europäisch, er klang fast schon hypereuropäisch – wenn die alle so wären, die EU-Beitrittsverhandlungen für die Türkei würden bestimmt ganz anders aussehen. Allerdings ist Mazyek auch kein echter Nichteuropäer, sondern der in Aachen geborene Sohn eines Syrers und einer Deutschen.
Ansonsten konnte man zu Aussagen wie „Zu den historischen Europagrenzen passt nur eine bestimmte Anzahl von Ländern“ leutselig nicken. Schließlich ist ja „auf dem Balkan nichts an Struktur“. Genau, wir lassen nicht jeden in unseren exklusiven Club d’Europe. Welchen Wert hätten denn auch die Balkaner zu bieten? Dass sein Buch die Brücke bis in die Popkultur schlage, wusste Prange noch anzubringen: Mit topaktuellen Künstlern wie den Beatles und Robbie Williams, der „genau von den gleichen Widersprüchen geplagt ist wie ein Goethe’scher Faust“, spreche man schließlich auch und vor allem die jüngere Generation an. Es hätten sich schon Schulen gemeldet und um Exemplare gebeten. Na wenn das mal nicht Salem war! Ein Glück ist man zu wenig intellektuell, um sich an der absurden Diskussion zu beteiligen, dachte man als Journalistin nach dem Frühstück und sprang schnell aufs Rad, das Wir Europäer ja wahrscheinlich auch erfunden haben.
JENNI ZYLKA
Peter Prange: „Werte. Von Plato bis Pop. Alles, was uns verbindet“. Droemer, München 2006, 752 Seiten, 25 €