„Man glaubt ihnen nicht“

Nach der Unterzeichnung eines Entschädigungsabkommens für Dopingopfer werden Zweifel an den Opferbiografien geäußert. Sporthistoriker Giselher Spitzer möchte lieber über die Täter sprechen

taz: Herr Spitzer, Kennen Sie die Namen der 167 Sportler, die nun vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) entschädigt werden?

Giselher Spitzer: Nein, ich kenne die Liste nicht. Die hat sich in der Phase der Verhandlungen mit dem DOSB wohl auch mehrfach verändert.

Warum soll diese Liste nicht veröffentlicht werden?

Das sind medizinische Daten, die unterliegen natürlich der Geheimhaltung. Außerdem ist ja auch Inhalt der Vereinbarung der Dopingopfer mit dem DOSB, dass die Namen nicht veröffentlicht werden. Die Anwälte stehen außerdem dafür gerade, dass ihre Mandanten Opfer sind, nicht Täter. Ich will nur so viel sagen: Es sind Medaillengewinner bei olympischen Spielen darunter. Und es gibt natürlich Dopinggeschädigte, die den Sport wegen Verletzungen verlassen haben, bevor sie zu großen Wettkämpfen geschickt worden sind. Die Namen ausgerechnet der Opfer zu recherchieren, verbietet sich aus meiner Sicht ohnehin. Vielmehr sollten die Namen der Täter genannt werden, vor allem derjenigen, die noch heute Positionen im deutschen Sport bekleiden.

Kann man wirklich davon ausgehen, dass die Sportler in der DDR nicht wussten, dass sie gedopt waren?

Die Verhüllungsstrategie der Täter war sehr erfolgreich. Alle Unterlagen sagen, dass die Sportler grundsätzlich nicht unterrichtet werden sollten. Wir können auch nachvollziehen, welche falschen Antworten gegeben wurden. Denn die Täter wussten, dass gesundheitsgefährdend war, was sie taten. Andererseits gibt es eine Zahl von Sportlern, eine vermutlich sehr kleine Zahl, die unterrichtet wurden. Es war jedenfalls unmöglich, aus der Vielzahl von Tabletten und Spritzen, die jeder Sportler erhielt, darauf zu schließen, dass das etwas mit Doping zu tun hatte.

Die Zahl der Dopingopfer muss demnach wesentlich höher sein als 167?

Ich habe einmal gemutmaßt, dass wir von etwa 1.000 schwerst geschädigten Dopingopfern ausgehen müssen. Bisher haben sich über 600 Personen namentlich gemeldet – über Beratungsstellen etwa. Und: Die Zahl wächst. Zudem haben sich bei den bekannten Dopingopfern die Erkrankungen verschlimmert. Es gibt kaum jemanden, dem es besser geht als vor zehn Jahren. Zudem sind neue Erkrankungen dazugekommen. Das heißt, die Zahl der Spätschäden wird noch zunehmen. Diejenigen, deren Bewegungsapparat durch die Überlastung unter Dopingmitteln geschädigt ist, kommen jetzt in ein Alter, wo sie ausgestoßen werden, weil sie keinem Beruf mehr nachgehen können. Die werden erst jetzt richtig zu Opfern.

Haben sich denn alle Dopingopfer gemeldet?

Es gibt es noch ein kleine Zahl von Schwerstgeschädigten, die sich gar nicht meldet haben. Das liegt auch daran, dass derjenige, der heute noch zugibt, durch Doping geschädigt worden zu sein, von der Gesellschaft geächtet wird. Oder man glaubt es ihm schlichtweg nicht.

Und wie viele Sportler wurden gedopt?

Das DDR-Sportsystem war wenig bekannt und wird schon wieder vergessen. Es waren etwa 60.000 bis 70.000 Sportler im Leistungsbereich aktiv. Und von denen sind offiziell 2.000 gedopt worden – jährlich. In Wirklichkeit waren es natürlich mehr. Denn die Leistung des Sportlers war ja das Gehalt des Trainers. Da gab es die irrwitzigsten Fälle. Ein Trainer hat zum Beispiel die Medikamente eines kranken Sportlers aufgehoben, um sie einem zu verabreichen, der eigentlich gar keine bekommen sollte. Insofern gehe ich davon aus, dass es mehr als die 2.000 waren. Zum Vergleich. Derzeit gibt es in Deutschland nur 4.000 Athleten, die in Leistungskadern registriert sind.

Wird mit der letzten Entschädigungszahlung ein Schlussstrich unter die Dopingopferdebatte gezogen?

Ich habe bei Herrn Vesper …

dem Generaldirektor des DOSB …

… ein klares Bekenntnis zur Dopingprävention vermisst – auch bei der Diskussion um ein Antidopinggesetz. Es sollte nicht mehr nur im Sinne der sportlichen Ethik argumentiert werden. Es geht um aktiven Gesundheitsschutz. Die Diskussion gehört in den Gesundheitsausschuss des Bundestags und nicht in den Sportausschuss.