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Archiv-Artikel

DVDESK Blicke wie streichelnde Hände

Julián Hernández: „Raging Sun, Raging Sky“, Mexiko 2009, 191 Min., ab rund 17 Euro im Handel erhältlich

Die Kamera lässt den Augensinn übergehen in eine Sinnlichkeit der liebenden Berührung

Mit einem faszinierenden Bild beginnt Julián Hernández’ Film „Raging Sun, Raging Sky“. Eine Frau nähert sich der Kamera durch runde Betondurchbrüche, eine autobahnbrückengeborene Göttin. Sie blickt sich um, geht dann ins Freie und dabei folgt ihr der Film. Sie geht durch die Stadt (Mexico City), steigt in einen Bus. Die Menschen darin sprechen nicht, dennoch beginnt auf der Tonspur ein Summen und Tönen von Worten. Die Frau hört Gedanken, und auch wir hören die Gedanken der Frau, die eine Sichumblickende ist. Nacht wird es, die Kamera sucht die Nähe zum Gesicht dieser Frau, hart sind die Schatten im Dunkel, überirdisch fast ist das künstliche Licht. Das alles immer in Schwarz-Weiß.

In drei Teile zerfällt dieser dreistündige Film, eine Art Triptychon. Die Frau des Beginns trifft in Teil eins einen jungen Mann – sie sprechen nicht bei der Begegnung, lachen nur, „erkennen“ einander. Sie hat Sex mit ihm in einem Bett, das aus der Draufsicht gezeigt wird. Sie verschwindet, um erst in Teil drei als aztekische Göttin wiederzukehren.

Gesprochen wird auch weiterhin und bis zum Ende fast gar nicht, obgleich „Raging Sun, Raging Sky“ alles andere als stumm ist und bleibt. Mit dem Heterosex ist nach dem Prolog Schluss, der Film dreht in Richtung große schwule Bildoper. Auf der Toilette eines Schwulen-Pornokinos mit abblätternden Wänden geht es zur Sache. Die Bilder von einander begehrenden, einander umkreisenden, einander fickenden jungen Männern formieren sich zur allerdings nie ganz und gar scharfgestellten Dreiecksgeschichte.

Wie überhaupt eine Geschichte nicht das ist, worauf Julián Hernández hinauswill. Viel mehr geht es ihm um den Blick der Kamera, die danach strebt, den Augensinn übergehen zu lassen in eine Sinnlichkeit der liebenden Berührung. Wie streichelnde Hände gleiten die Blicke der Kamera über die oft nackten Körper der Männer, kommen ihnen ganz nahe, gehen wieder auf Distanz, kreisen, mischen sich ein, ziehen sich zurück. Dieser Blick ist über weite Strecken der eigentliche Akteur des Films, der ein episches Poem und zugleich eine oft atemberaubende Licht- und Bewegungs- und Körperchoreografie ist – die im Übrigen bei der Sichtung auf DVD sehr deutlich macht, wie sehr sie eigentlich für die ganz große Leinwand gedacht ist.

So berückend nah der Film und mit ihm der Betrachter den über die Sprache erhabenen Körpern kommt, so wenig ist er schlicht pornografisch oder rein ausbeuterisch. Und zwar, weil der Blick niemals objektiviert, sondern zu dem, was er sieht, im imaginären Verhältnis eines Subjekts, und zwar eines begehrenden Subjekts unter anderen Subjekten, verbleibt. Es entsteht dabei etwas, das man nur widersprüchlich beschreiben kann als eine Atmosphäre monumentaler Intimität. Man wundert sich dann auch nicht, wenn das im dritten Teil umschlägt – und zwar ins vollends Monumentale, wenn nicht gar Mythische.

Plötzlich ist Farbe im Spiel (freilich meist sehr entsättigt), plötzlich ist der Schauplatz die Natur. Eine Höhle, eine atemberaubende Berglandschaft. Die Menschen darin – die drei, die man kennt, auch die Frau des Beginns – agieren als aus der Erde brechende schlammschuppige Heroen, ja, aztekische Götter. Das Intime wird Mythos um Eros und Tod, Rivalität und Wiederauferstehung. Mit völligem Ernst inszeniert Hernández das, und erstaunlicherweise nimmt man es ihm ab. Zumal er nach diesem in den heroischen Modus transponierten farbigen Zwischenspiel zurückkehrt in die schwarz-weiße Wirklichkeit, in der die Geschichte dann so schön und ergreifend ausgeht, wie es sich für ein Filmwunder wie dieses gehört. EKKEHARD KNÖRER