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Archiv-Artikel

Altes Eisen, neue Rechte

Das Alter darf im Erwerbsleben keine Rolle mehr spielen: Im neuen Gleichbehandlungsgesetz ist eine Diskriminierung nach Lebensjahren nicht erlaubt. Viele Arbeitnehmer werden nun vor Gericht ziehen

VON KLAUS BERTELSMANN

Das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG), das am 18. August 2006 im Kraft trat, setzte vier Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft um. Die untersagen Benachteiligungen, die an folgende Merkmale anknüpfen: Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität.

Das für die Praxis wichtigste Feld ist das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Davon ist jedes Alter erfasst, also auch die Benachteiligung jüngerer Beschäftigter: Bei der Einstellung darf nicht nach Alter ausgewählt werden, das Entgelt muss unabhängig vom Alter bemessen werden, betriebliche Schulungen müssen unabhängig vom Alter angeboten werden, bei Kündigungen darf im Rahmen einer sozialen Auswahl höheres Alter nur in begrenztem Ausmaß eine Rolle spielen.

Für alle Merkmale gilt jedoch, dass Ausnahmen zulässig sind, wenn die Anknüpfung an ein Merkmal wegen bestimmter beruflicher Anforderungen notwendig ist. Kommt im Schauspielhaus eine Neuinszenierung von Shakespeares Romeo und Julia, wird eine Bewerbung von Johannes Heesters mit seinen 103 Jahren für die Rolle des Romeo zu Recht mit Verweis auf das nicht zum jugendlichen Liebhaber passende Alter abgelehnt werden können. Suchen die Grauen Panther einen Geschäftsführer, darf die Position einer älteren Person vorbehalten werden, die die Grauen Panther nach außen hin angemessen repräsentiert.

Das Alter hat einen deutlich weiteren Ausnahmekatalog als die anderen Merkmale. Zulässig sind demnach Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Eingliederung von Jugendlichen oder älteren Beschäftigten. Erlaubt sind ebenso kürzere Arbeitszeiten für Ältere aus Gründen des gesundheitlichen Schutzes (Beispiel Chemieindustrie: 2,5 Stunden weniger pro Woche ab 57 Jahre).

Zudem kann die ordentliche Kündigung für ältere, langjährig Tätige ausgeschlossen sein. Und in Sozialplänen kann nach Alter differenziert werden, wenn dadurch die auch vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.

Unzulässig sind hingegen Stellenausschreibungen mit Altersanforderungen wie: „Flexible Männer von 25 bis 30“ oder: „Rentner für Zeitungszustellung gesucht“. Vor Einstellungen darf nicht einmal nach dem Alter gefragt werden. Das darf auch bei der Auswahlentscheidung für Beförderungen nicht berücksichtigt werden. Unzulässig ist zudem eine geringere Vergütung für jüngere Arbeitnehmer: Tarifverträge, die eine Vergütung anknüpfend an das Lebensalter vorsehen, sind unzulässig. Nicht rechtmäßig ist nach dem neuen Gesetz auch im öffentlichen Dienst die Höchstaltersgrenze von 35 Jahren für den Zugang zu Positionen als BeamtIn. Hier werden ohne legitimes Ziel Ältere benachteiligt. Allerdings ist auch ein längerer Urlaub für Beschäftigte ab 30 oder 35 Jahren nicht erlaubt.

In fast allen Tarifverträgen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst ist geregelt, dass das Arbeitsverhältnis mit Vollendung des 65. Lebensjahres automatisch beendet wird, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Diese Zwangspensionierung ist bisher von der Rechtsprechung einheitlich für zulässig erachtet worden. Dabei ist es geblieben, nur: Nach EU-Recht ist die Zwangspensionierung nicht erlaubt. Damit verträgt sich das bundesdeutsche Gesetz nicht. Es ist davon auszugehen, dass es keine Zwangspensionierung mit 65 Jahren mehr geben kann. Wer will, kann seine Weiterarbeit erzwingen.

Insgesamt ist im Bereich der Diskriminierung wegen des Alters eine größere Zahl von Streitigkeiten in der Arbeitsgerichtsbarkeit zu erwarten. Klagen wird es insbesondere bei der Bezahlung nach Lebensaltersstufen geben, auch bei Kündigungen wegen des Alters und der Zwangspensionierung. Zum anderen hat der Betriebsrat die neu geschaffene Möglichkeit, bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen diesen vorzugehen. Dies eröffnet für Betriebsräte, die im Betrieb aktiv gegen Diskriminierungen vorgehen wollen, gute Möglichkeiten.

Der Autor ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg