: Ein neues Gesicht für den Tanz
Aus Leipzig ins Zentrum der Szene: Heike Albrecht übernimmt die Leitung der Sophiensæle von Amelie Deuflhard. Schon jetzt ist absehbar, dass mit ihr der Tanz an Gewicht gewinnt. Auch das Programm der diesjährigen Tanznacht hat man ihr anvertraut
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Es kam überraschend: Als die Sophiensæle vor vier Wochen ihr zehnjähriges Bestehen feierten, rätselte man noch über die Nachfolge der künstlerischen Leiterin Amelie Deuflhard, die im Sommer an die Hamburger Kampnagel-Fabrik wechselt. Dabei hatte noch in der Nacht der Feier das entscheidende Gespräch mit einer Bewerberin stattgefunden. Drei Tage später präsentierten Sasha Waltz, Jochen Sandig und Amelie Deuflhard, die Gesellschafter der Sophiensæle, Heike Albrecht als künftige Leiterin des Hauses.
Wenn heute Abend in der Akademie der Künste am Hanseatenweg die vierte „Lange Nacht des zeitgenössischen Tanzes“ präsentiert wird, dann ist das so etwas wie Heike Albrechts Gesellenstück. Außerhalb der Tanzszene ist die Kuratorin aus Leipzig bisher kaum bekannt; in Leipzig hat sie sich seit 1997 den Ruf einer mutigen und konzeptuell anspruchsvollen Programm-Macherin in kleinen Theatern und für Festivals erworben. Schon von Sachsen aus betrachtete sie Berlin als „ihr Hinterland – ideal, um Aufführungen zu sehen und Kontakte zu knüpfen“. Die Berliner Choreografen Thomas Lehmen, Constanza Macras, Ami Garmon und Xavier LeRoy lud sie bereits nach Leipzig ein.
Tanznacht als Plattform
Mit dem Auftrag, ein Programm für die Berliner Tanznacht zu entwickeln, wandten sich Eva-Maria Hoerster, die jetzt von der Leitung der Tanzfabrik Berlin zum neuen Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz gewechselt ist, und Bettina Masuch, Tanz-Kuratorin am HAU, an Heike Albrecht. Es war eine schwierige Aufgabe, das wissen die beiden aus Erfahrung nur zu gut: Als gemeinsame Plattform der Tanzszene Berlins soll die Tanznacht so viele Ansprüche erfüllen, dass sie kaum ins Format einer Aufführung passen: kulturpolitisches Signal sein und große Gala, die Vielfalt der Szene spiegeln, niemand verprellen, einen Überblick für Kulturveranstalter schaffen, neue Entwicklungen erahnen lassen.
Seit dem Sommer war Heike Albrecht in der Stadt unterwegs. Die Art, wie sie mit Theatern und Künstlern geredet hat, wie sie über Produktionsorte und Aufführungsformate nachdachte, gab den Ausschlag für ihr Engagement an den Sophiensælen.
Heike Albrecht wurde 1969 in Potsdam geboren. Sie wäre gern Keramikerin geworden, aber noch war der Weg zur Kunst nicht frei. Drei Jahre arbeitete sie als Grundschullehrerin und Kunsterzieherin, erst nach der Wende tauchten neue Perspektiven auf. Als sie 1991/92 die Anfänge der Fabrik Potsdam miterlebte, wurde die „künstlerische Arbeit das, wofür man leben will“. Der zeitgenössische Tanz hatte wenig Tradition, aber viel Zukunft.
Albrecht begann mit Projektarbeit, praktizierte Learning by Doing und suchte nach einer Weiterbildung. Die fand sie in Kalifornien, am Moving-On-Center in Oakland. Dort lernte sie, das Wissen des eigenen Körpers zu befragen und Entscheidungshilfen zu finden, ob man im wissenschaftlichen, künstlerischen oder vermittelnden Bereich arbeiten will.
Dass sie sich in ihrer eigenen Biografie schon so oft mit Hindernissen – dem Fehlen von Ausbildung, dem Fehlen von Geld, von Räumen, von kulturpolitischen Interesse – auseinandersetzen musste, das hat ihren Blick geschärft. Sie schaut genau hin: Was ist den Bedingungen der Produktion geschuldet, was wird als Ziel gesetzt, wie wird Bedeutung mit den Mitteln des Körpers erzeugt?
In der von ihr konzipierten Tanznacht laufen viele der Fäden zusammen, an denen sie auch bisher gesponnen hat. Da gibt es die Frage nach der Geschichte und dem Gedächtnis des Tanzes, im Körper von Tänzern und in der Möglichkeit, ein Repertoire lebendig zu halten. „Susanne Linke wird die Tanznacht mit ihrem Solo ‚Visitation Giotto‘ eröffnen. Mit ihr betreten wir das Feld: Wie geht man mit einem Alterswerk um? Von da aus verändert sich der Blick auf die Gegenwart und die Frage: Wo steht der Tanz aktuell?“, stellt sie ihr Programm vor. „Ein zweiter Ansatz ist die Begegnung mit der Urban-Dance-Szene. Spannend ist das Selbstverständnis, mit dem sie sich eine eigene Community aufgebaut haben. Was sie da leisten, in den Stadtteilen und in internationalen Zusammenhängen, ist enorm. Da ist der interkulturelle Diskurs vorhanden, nach dem immer gefragt wird.“
Geschichte als Potenzial
Mit den Sophiensælen arbeitet Albrecht, die „bisher eher vom Rand aus“ operierte, erstmals im Zentrum einer kulturellen Szene. Dass die Sophiensæle selbst, die Treppenhäuser, Büroräume, Foyers und Bühnenräume noch immer so abgewetzt aussehen, als sei die Wende erst gestern gewesen, stört sie nicht. Im Gegenteil: Die Sichtbarkeit von Geschichte hält sie eher für ein Potenzial an einem Ort, um den herum sich so viel verändert – wie zum Beispiel in der Galerienszene, die sich zunehmend am Markt orientieren muss.
Mit Heike Albrecht wird der Schwerpunkt Tanz in den Sophiensælen wieder so groß geschrieben wie in den ersten Jahren nach der Gründung durch Deuflhard, Waltz und Sandig. Dass Jochen Sandig, der inzwischen mit dem Radialsystem am Spreeufer einen neuen und größeren Ort für Produktion und Programm aufgebaut hat, die Sophiensæle als verlässlichen Partner behalten will, kann man sich denken.
Erst in den nächsten Monaten kann Heike Albrecht an den eigenen Linien eines Programms und an Kooperationen arbeiten. Aber schon jetzt steht fest, dass die Tanzfabrik, die sich mit Work-in-Progress-Shows um den choreografischen Nachwuchs kümmert, ein wichtiger Partner sein wird.