: Vertriebsform: nacktes Schnitzel
Sexyness und Extravaganz als Überlebensmodell? Während der langen „Tanznacht“ in der Akademie der Künste machte man sich viele gute Gedanken über die Produktionsbedingungen von Tanz. Die Welt draußen vergaß man darüber ein wenig
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Wie verdienen Tänzer Geld? Die neu gegründete Agentur „Berlin GoGos“, die sich auf der Tanznacht in der Akademie der Künste mit ihrer DVD „Pure GoGo Dance“ vorstellte, suchte nach einer Antwort auf diese Frage: mit Coolness, Sexyness, mit Zauber, Extravaganz und Animation – perfekte Körper in gewagten Outfits. Neun mit explosiver Energie geladene Solos, die versiert durch alle Dialekte des zeitgenössischen Tanzes gleiten, zeigt die DVD vor Kulissen wie verlassenen Festsälen und vermüllten Industriehallen. Die neue Agentur, ein Projekt des Choreografen Christoph Winkler und des Kulturbüros „Ehrliche Arbeit“, tritt nun gleich auf zwei Feldern in den Markt: Sie bietet die DVD zum Kauf an, als Hintergrundvisual für Clubs und private Feiern, und sie vermietet die auf der DVD vorgestellten Tänzer, solo und en bloc, inclusive DJ-Set.
Wow. In der wirklich langen Nacht des zeitgenössischen Tanzes, zu der die Tanzfabrik Berlin am Samstag zum vierten Mal eingeladen hatte, war Winklers Projekt nicht das einzige, das sich mit der möglichen Warenförmigkeit von Tanz beschäftigte. Dabei ist die Agentur nicht einfach ein zynisches oder ironisches Projekt, sondern ein tatsächlicher Versuch einer neuen Betriebs- und Vertriebsform. Mit der Virtuosität und der Unterhaltsamkeit ihrer Tänzer erlaubt sie sich dabei etwas, was von beinahe allen anderen Aufführungen – immerhin 15 Bühnenshows sowie zahlreiche installative Formate zwischen Tanz und bildender Kunst – als zu einfacher Weg vermieden wurde. Und das macht so eine lange Nacht ganz schön anstrengend.
Das Programm, das Heike Albrecht, Tanzkuratorin aus Leipzig und kommende Leiterin der Sophiensæle, entwickelt hatte, eröffnete mit einer großen Geste der Umarmung. Es brachte Susanne Linke, die seit den 70er-Jahren den deutschen Tanz prägt, mit zwei jüngeren Choreografen und zwei Gruppen zusammen, die aus der Hiphop-Szene kommen. So war der erste von drei Programmblöcken ein symbolisch integrativer Akt: Er verbandelte Generationen und Milieus in der Absicht, die offenen Grenzen dessen, was Tanz sein und werden kann, zu markieren.
So weit, so gut. Allein das symbolische Kapital relativiert sich schnell, wenn sich die jüngst hinzugeworbenen Mitglieder, wie Amigo mit dem Stück „Triple Destan“, überraschend in Richtung klassischer Avantgarde bewegen und ambitioniert jenes Terrain von Kunst anstreben, das die meisten konzeptuell geprägten Gruppen gerade wieder verlassen wollen. Das ist die Krux solcher Gruppenbilder: Das Wachsen der Tanzfamilie vermehrt auch ihre Ungleichzeitigkeiten.
Die zeitgenössische Tanzszene in Berlin ist eine Wachstumsbranche. Neue Spielstätten, die Schulprojekte, das Programm einer universitären Ausbildung: Darüber konnten sich die Festredner, Nele Hertling von der Akademie der Künste und Klaus Wowereit als Schirmherr in ihren knappen Reden, freuen. Der Zuzug von Künstlern, die wie Sufit Simon aus Israel und Jeremy Wade aus New York kommen und die sehr eigenwillige, hart zu schluckende Stücke zur Tanznacht beitrugen, trägt zum Bild der Vermehrung bei. Ob bei allem Mehr an Personal sowie an Auftritts- und Ausbildungsmöglichkeiten aber auch ein Mehr an nachhaltigen Überlebensmöglichkeiten für Tänzer am Ende steht, ist noch lange nicht entschieden.
Im Tesla wurde am Freitag in einem Podiumsgespräch zum Thema Selbstausbeutung lange darüber geredet, wie sich Tänzer mit pädagogischen Aufgaben ein zweites Standbein neben und nach der aktiven Bühnenlaufbahn aufbauen könnten; aber die große Frage, wie von der Kunst direkt zu leben sei, blieb doch.
Die Tänzerin Paula E. Paul stellte sich ihr in der Tanznacht mit einem Stück im Kassenhäuschen: Hier warb sie um Koproduzenten und gab Anteilsscheine für ein Beteiligungsmodell aus. Anja Hempel ließ in ihrem Video „Krüfleisch“ gleich ein nacktes Schnitzel an Marionettenfäden tanzen und in die weite Welt aufbrechen. Das sah sehr erstens lustig aus und kündete zweitens deutlich vom Verzehr der Kräfte. Ob das Schnitzel am Ende in der Bratpfanne landete, ließ sich im dichten Publikumsgewusel vor den Monitoren nicht mehr erkennen.
An Nachdenklichkeiten über die Produktionsbedingungen von Tanz fehlte es dieser Tanznacht also nicht. Was ihr eher mangelte, war ein großes Bühnenformat, eines von den Stücken, die in einer Choreografie nicht nur Tanz, sondern auch Welt verhandeln. Es gibt sie ja, man konnte einige davon im Programm von „Tanz made in Berlin“ sehen, das seit Anfang Dezember an vielen Theatern lief. So konnte die Tanznacht ihrem Anliegen, die Szene in ihrer Vielfalt vorzustellen, nur gerecht werden, wenn man sie mit dem vorangegangenen Programm zusammennahm.