: Drama im Regen
Die Legende vom einsamen Basti: Ausgerechnet Abwehrrecke Reinhardt sorgt beim 3:3-Unentschieden der Hamburger in Aachen für Zerknirschung
AUS AACHEN DANIEL THEWELEIT
Als Bernd Hoffmann den Aachener Presseraum betrat und die Journalisten sah, wendete er sich erstmal kurz ab. Vielleicht hatte sich der Vorstandsvorsitzende des HSV für einen kurzen Moment den verrückten Verlauf des Jahres 2006 vergegenwärtigt, das mit diesem 3:3 einen Abschluss gefunden hatte, wie ihn wohl selbst der experimentierfreudigste Drehbuchautor kaum zu formulieren gewagt hätte. Jedenfalls murmelte Hoffmann immer noch etwas abwesend: „Seit acht Monaten erleiden wir fast ausschließlich Rückschläge.“ Mittlerweile hat die Qualität dieser Rückschläge gespenstische Dimensionen erreicht. „Eine Gewichtung“, ob dieser Nachmittag einen neuen Tiefpunkt darstelle, könne er angesichts des letzten halben Jahres längst „nicht mehr vornehmen“, sagte Hoffmann, die Dramaturgie der Partie von Aachen stellte jedoch alles Vorangegangene in den Schatten.
Als die Stadionuhr neunzig Minuten anzeigte, hatte der Hamburger SV noch mit 3:2 geführt. Verzweifelt schlug Aachens Jan Schlaudraff einen ideenlosen Ball in den Hamburger Strafraum, Bastian Reinhardt versuchte irgendwie zu klären, doch sein verunglückter Kopfball landete im eigenen Tor. 3:3. Wieder kein Sieg. Und es war ausgerechnet Reinhardt. Der vielleicht solideste Akteur dieses Katastrophenjahres sorgte für eine Fortsetzung der sagenhaften Folge von Pech, Unvermögen und unerklärlichen Schicksalsschlägen. Der Innenverteidiger war ganz blass, als er sagte: „Wenn man überlegt, was da alles dranhängt, fällt man in ein tiefes Loch.“
Noch nie sei ihm ein Eigentor unterlaufen, „noch nicht mal in der Jugend“, erzählte Reinhardt. Dieses Missgeschick hat er sich für den wohl unpassendsten Moment aufgehoben, den man sich vorstellen kann. „Wie ein Kühlschrank, den man auf dem Rücken trägt“, fühle sich der Fauxpas nun an. Und Trainer Thomas Doll meinte: „Basti ist jetzt der einsamste Mensch in der ganzen Bundesliga.“
Mit dieser Aussage heftete Doll den Makel des Alleingelassenseins geschickt einem anderen an, einsam war aber auch der Trainer nach diesem Drama im Dauerregen. Klubchef Hoffmann und Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer äußerten sich in der Trainerfrage nach Wochen der Durchhalteparolen deutlich zurückhaltender als zuletzt. Im Verlauf von am Montag beginnenden Beratungen „müssen wir sehen, wie wir die beste Konstellation hinkriegen, um unsere Aufgabe zu erfüllen“, erklärte Beiersdorfer, und Hoffmann ergänzte, der Vorstand werde „jeden Stein umdrehen und die Maßnahmen einleiten, die nötig sind“. Das hörte sich ganz anders an als Hoffmanns „Wir wollen in dieser Konstellation weitermachen!“. Viele Beobachter interpretierten diese rhetorische Kehrtwende als Zeichen für eine bevorstehende Trennung von Thomas Doll.
Reinhardts Eigentor könnte demnach den Ausschlag geben, und das wäre ebenso ungerecht wie dieses Remis in Aachen. Der Hamburger Trainer, der mit seinen Assistenten an den anberaumten Gesprächen teilnehmen darf, wirkte freilich kämpferischer und lebendiger als in den Wochen zuvor. Doll sprach von einem „Zeichen“ und von „großem Engagement“, von „Teamspirit“, sagte jedoch recht offen: „Als Trainer habe ich natürlich überhaupt keine Argumente.“ Platz 17 und 13 Punkte sprechen eine deutliche Sprache. Der Aufsichtsrat, der Doll mittlerweile eher kritisch gegenübersteht, wird übrigens nicht an den Beratungen beteiligt sein, noch nicht einmal Meinungen will Hoffmann vom obersten Kontrollgremium einholen.
Es soll ein Gespräch auf sportlicher Ebene sein, auch über Neuverpflichtungen wird man diskutieren, angeblich stehen sechs Millionen Euro zur Verfügung. Der Schalker Frank Rost ist dann ein Thema, auch wenn Stefan Wächter in Aachen hervorragend hielt. Im Mittelpunkt steht aber die Trainerfrage, und die ist, abgesehen von ein paar Eindrücken, Spekulationen und Bauchgefühlen, ziemlich offen. „Wir analysieren, wie die Dinge zustande kamen, und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt“, sagte Doll, und fast schelmisch fügte er an: „Lasst euch mal überraschen.“