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Archiv-Artikel

hamburger szene Mimikry

Von grä

Kürzlich war ich mit meinem Onkel im Weihnachtsoratorium. Der Tenor trug Frack, er war eher dicklich und hatte Ähnlichkeit mit Franz Josef Strauß. Er hatte etwas Trauriges an sich, wenn er vor sich hin auf den Kirchenboden sah. Wie ein Mann, der weiß, dass alle, die ihn ansehen, denken: „Meine Güte. Ein Wiedergänger von Strauß, dem Idioten.“

Ich verstehe nichts von Musik, dafür mein Onkel, der sagte, dass der Tenor ein paar der hohen Töne nicht gut hinbekommen habe. Hinterher klopfte ihm der Dirigent aufmunternd auf die Schulter, woraufhin der Tenor eine Geste machte, die zugleich dankbar und abwehrend war.

Der Bass trug einen blonden Zopf und blätterte beim letzten Stück des Chors in seinem Terminkalender. Es müssen die richtigen Termine darin gestanden haben, denn er betrachtete sie mit großer Zufriedenheit. Der Chor sang „Nun seid ihr wohl gerochen an eurer Feinde Schar“ und man sah den Tenor an und dachte, dass immer die falschen Leute mit sich zufrieden sind.

Hinterher gingen wir zum Italiener um die Ecke. Ein Freund von mir vertritt die These, dass die wenigsten italienischen Restaurants von Italienern geführt würden. Es sei eine Art geschicktes Mimikry. Meinen Onkel überzeugte das nur halb und er fragte den Kellner, ob er Italiener sei. Der Kellner war Ägypter und sagte, dass die italienischen Kellner keinen rechten Arbeitseifer hätten und nach ein paar Tagen nicht mehr kämen. Er schien sehr zufrieden mit seiner ägyptisch-italienischen Existenz. grä