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Archiv-Artikel

Ein streitbarer Pazifist

Heinrich Hannover hat als Anwalt kommunistische Widerstandskämpfer und Wortführer der Studentenbewegung verteidigt. Als Kinderbuchautor hoffte er, dass aus seinen kleinen Lesern „gute Sozialisten“ würden. Nun liegt sein neuester Erzählband vor. Ein Hausbesuch in Worpswede bei Bremen

Dem lässigen, auch krude Abschweifungen gestattenden Erzählstil ist Hannover bis heute treu geblieben

von MECHTHILD BAUSCH

Ein umtriebiger Weihnachtsmann, verschneite Wälder und jede Menge Engel – derart traditionelle Zutaten erwartet man von einem Märchenonkel, aber von einem überzeugten Sozialisten? Der heute 81-jährige Rechtsanwalt und Kinderbuch-Bestsellerautor Heinrich Hannover greift in seinem aktuellen Geschichtenband „Weihnachten im Zauberwald“ auf Bewährtes zurück, aber er mischt die Szene gründlich auf. Engel mit Fehlern stiften Verwirrung im irdischen Advent, der Weihnachtsmann reist per Flugzeug, und Petrus steuert das Wettergeschehen am PC. Auch Mozart kommt vor, er sitzt leibhaftig in der Oper. Und das Pferd Huppdiwupp, die bekannteste Titelfigur Heinrich Hannovers, darf noch einmal Held spielen.

Außer als Kinderbuchautor war Hannover fast fünf Jahrzehnte als Strafverteidiger in Bremen tätig. Den Begriff „Staranwalt“ mag er nicht. Das sei „jemand, der die Öffentlichkeit sucht und die Medien mit Storys bedient. So einer war ich nie. Ich war ein bekannter Anwalt, und man wusste, dass ich mich vor allem für linke Leute einsetze“, erklärt er. In dem 1998/99 erschienenen Buch „Die Republik vor Gericht. 1954 bis 1995“ hat Hannover sein (Berufs-)Leben bilanziert. Beim Durchblättern der „Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“ altert der Chronist mit dem schmalen, markanten Kopf im Schnelldurchlauf an der Seite seiner prominenten Mandanten, darunter Daniel Cohn-Bendit, Ulrike Meinhof, Karl Heinz Roth, Otto Schily, schließlich Hans Modrow. „Ich habe lebenslänglich gekämpft und mich aufgerieben im Kampf gegen ungerechte Urteile, gegen den Unsinn des Strafens überhaupt“, erklärt Heinrich Hannover. „Es tut mir gut, dass ich jetzt ein bisschen mehr Privatleben führe.“

Dies findet überwiegend in seinem Haus am Ortsrand von Worpswede statt, wo er mit seiner Lebensgefährtin Doris Wegener lebt. Die breiten Wassergräben ringsherum spiegeln Wolken und Himmelsblau wie auf den Bildern der berühmten Worpsweder Maler. Von seinem voll beladenen Schreibtisch blickt Hannover auf die Bäume in seinem Garten. Seinen allerersten Berufswunsch, Förster, habe er bekanntermaßen nicht verwirklicht, gibt der Hausherr zu Protokoll. Deshalb sei er froh, dass er nun sein „eigenes Wäldchen“ habe.

Vor dieser Kulisse schreibt Heinrich Hannover unermüdlich: politische Essays, eine persönliche Familienchronik – und Kindergeschichten. Das hohe Engelaufkommen in seinem aktuellen Band erklärt er mit der Erinnerung an die eigene Kindheit. Diese himmlischen Wesen und „ihre besonderen Fähigkeiten“ hätten ihn damals stark beeindruckt, und er wolle „diese Faszination an Kinder von heute weitergeben“. Die eigene Erinnerung ist seine wichtigste Inspiration. Er suchte und sucht den Kontakt mit der jüngsten Generation. Waren es früher seine sechs Kinder, die in vielen Geschichten mit Namen auftauchten, sind es heute seine Enkel. Auch Lesungen absolviert er immer noch gern. „Ich werde, wenn ich mit Kindern zu tun habe, spontan in ihre Gefühlswelt und Denkweise versetzt, erinnere mich, wie ich selbst als Kind gedacht habe, was da alles möglich war.“

Seine Kindheit sei „sehr glücklich“ gewesen und er „als Einzelkind sehr verwöhnt worden“, sagt Hannover. Auf einem der Fotos in seinem Arbeitszimmer lächelt der etwa achtjährige Heinrich neben dem Vater in die Kamera. Geboren wurde er 1925 in eine bürgerliche Welt: Sein Vater war Chefarzt des Städtischen Krankenhauses im mecklenburgischen Anklam, die Mutter Lehrerin. Seine Großmutter, sagt Hannover, sei nicht nur sportlich gewesen, sondern auch Motorrad gefahren – wie die Großmutter in seinen Kinderbüchern auch.

1933 trat sein Vater der NSDAP und der SS bei, wie Hannover in seinen Erinnerungen schreibt. Als 19-jähriger Wehrmachts-Soldat hat er Vater und Mutter das letzte Mal gesehen, Anfang 1945 in Berlin. Wenig später nahmen Dr. med. Heinrich Hannover und seine Frau Charlotte sich das Leben, um einer möglichen Internierung durch die Sowjets zu entgehen. Seine Eltern seien ihm sehr wichtig geblieben, sagt Hannover. Gerade weil er sie so früh verloren habe. Er hätte gern gewusst, wie sie seine weitere Entwicklung gesehen hätten.

Ein dogmatischer, streitbarer Pazifist ist der junge „Kriegsheimkehrer“ von damals bis heute geblieben. Dass er politisch Partei ergriff, sei eine Folge seiner ersten Pflichtverteidigung 1954 gewesen. Der Angeklagte war Mitglied der DKP und stand unter anderem wegen „Landfriedensbruchs“ vor Gericht. Er habe dieses Mandat mit dem Gefühl übernommen, „als Verteidiger musst du unter Umständen Mörder und Sittlichkeitsverbrecher verteidigen, warum nicht einen Kommunisten“, resümiert er lakonisch. Doch der Prozess stellte sich als ein Paradebeispiel für politische Vorverurteilung im Gerichtssaal heraus. Die Neinsager und Quertreiber wurden seine Klientel. Er stritt für kommunistische Widerstandskämpfer der Nazi-Diktatur und verteidigte die Wortführer der Studentenbewegung. Zu den beklemmenden Kapiteln seiner Biografie gehört die Reise in den so genannten Toten Trakt von Stuttgart-Stammheim. Ende der 80er Jahre zählte das Wiederaufnahmeverfahren für Carl von Ossietzky, der 1931 wegen Landesverrats verurteilt worden und an den Folgen der KZ-Haft gestorben war, zu Hannovers letzten großen Anstrengungen in Anwaltsrobe.

Kinderbuchautor wurde Hannover eher zufällig. Die Literaturagentin Ruth Liepman entdeckte sein erzählerisches Talent, als sie seine Familie besuchte, und vermarktete es. 1972 gehörte „Das Pferd Huppdiwupp“ zu den ersten fünf Titeln der neu gegründeten Rotfuchs-Reihe des Rowohlt Verlags und wurde mit rund 250.000 verkauften Exemplaren ein Bestseller. Dem lässigen, auch krude Abschweifungen gestattenden Erzählstil ist Hannover bis heute treu geblieben.

Er hoffe, „dass aus Kindern, deren Eltern die Mühe des Geschichtenerzählens nicht gescheut haben, einmal gute Sozialisten werden“ schrieb Hannover 1972 im Nachwort eines Bands. Hat sich seine Hoffnung erfüllt? „Die Entwicklung der Gesellschaft ist für einen Sozialisten eher enttäuschend“, räumt er ein. Dabei sei Veränderung gerade „in Zeiten der globalen Verarmung großer Schichten“ notwendig. In seinen „Weihnachtsgeschichten“ sorgen nun vor allem Engel für kleine Wunder. „Es könnte also durchaus sein, dass aus Kindern, die meine Geschichten lesen, gläubige Christen werden“, sagt Heinrich Hannover. Diese Vorstellung amüsiert ihn sehr.

Heinrich Hannover: „Weihnachten im Zauberwald“, mit Illustrationen von Selda Marlin Soganci, Gerstenberg Verlag, 128 Seiten, 15,90 Euro