DAGEGENSEIN BEI GLEICHZEITIGEM MITMACHEN
: Mahnwache und Miles & More

Trends & Demut

VON JULIA GROSSE

Ich hatte gerade mein Kunstgeschichtsstudium abgeschlossen, schrieb für die taz, ein Frauenmagazin im Axel Springer Verlag und fand dieses Zusammenspiel damals doch ziemlich schizophren. „Links blinken, rechts abbiegen, oder was?“

Heute ist Bild-Chef Kai Diekmann Genossenschaftsmitglied der taz. Heute klingen die damaligen Standarddiskussionen um das „Wo stehst du?“ wie Witze aus der Steinzeit. Denn alles ist inzwischen so offen, verlinkt und kompliziert, dass man sich gar nicht mehr fragen kann: Ja, wo stehe ich eigentlich? Die schöne, klare, weil analoge Entscheidung zwischen Plus und Minus gibt’s nicht mehr. Man sagt nur noch „I like“ oder hält’s Maul.

Eher ist nun alles „und“: Sammle Punkte auf deiner Lufthansa Miles & More Karte und hock dich zur Mahnwache gegen Abschiebung der Flüchtlinge. Die oft schwierige Frage nach dem „entweder oder“ stellt sich irgendwie immer seltener. Man will alles, kriegt es auch und wird noch nicht einmal dafür gerügt. Das „und“ ist der hell erleuchtete Darkroom. Die nie enden wollende Gartenparty. Oder wie stand es in der Spex so treffend – das Dagegensein bei gleichzeitigem Mitmachen: „Ich versuche, so wenig wie möglich zu konsumieren, weil ich den ganzen Scheiß nicht brauche, bin aber trotzdem voll auf Apple?“

Man wartet auf die nie kommende Alternative, davor aber schnell noch mal zu Acne, die haben gerade Sale. Möglicherweise ist es ein reines Dilemma von uns Kulturproduzenten. Ich habe Freunde, die sind so verlinkt mit ihrer Szene, dass sie gar niemanden mehr kennen, der andere Musik hört als sie. Oder die erschreckt feststellen, dass keine einzige Person aus ihrem Umfeld nichts mit Kunst zu tun hat.

Außerhalb solcher Szenen steigert man sich auf jeden Fall weniger in das „entweder oder“-Thema. Dabei steckt man dort unter Umständen viel tiefer und dirkter drin. So belächelt meine Freundin, kaufmännische Angestellte, meine Haltungsprobleme als nostalgisch. In ihrer „Welt“ will man natürlich auch den Mindestlohn, aber eben auch den schärferen Flatscreen. Und alles ohne Qual. Sich zu quälen verzerrt den Blick, denn konsumieren ist okay, man muss nur wissen, wie.

Damit meint sie jetzt aber nicht, mehr Fairtrade zu kaufen und Bioeier. Bioeier sind Entschleunigung! Sondern bewusst und wenig einkaufen, denn genau das, so deute ich ihren Ansatz, macht aus dem Konsumisten den Mainstream der Mächtigen. Heißt für mich: Kein neues iPhone nach 24 Monaten, nur weil mein Anbieter damit wedelt, sondern erst, wenn meines wirklich den Geist aufgibt. Und wenn wir das eisern durchhalten, müsste Sigmar Gabriel der Wirtschaft irgendwann eine Apple-Abwrackprämie spendieren.

■  Julia Grosse ist freie Publizistin und lebt in Berlin