: Frau Sarrazin ist kein Einzelfall
SCHULKLIMA Die Unterrichtsmethoden von Ursula Sarrazin erhitzen die Gemüter. Doch LehrerInnen, die ihre SchülerInnen verbal niedermachen, gibt es an vielen Schulen. Fehlverhalten zu sanktionieren ist schwierig
■ Wegen der Diskussion über die Unterrichtsmethoden von Ursula Sarrazin hat deren Schule in Westend eine Sonderkonferenz einberufen. Das bestätigte eine Sprecherin der Bildungsverwaltung am Montag. Wann die Konferenz stattfindet, wollte sie nicht sagen. Zudem wurde die Lehrerin und ihr Schulleiter zu einem Gespräch geladen. Ziel sei es, den gestörten Schulfrieden wiederherzustellen.
■ Seit Tagen steht die Frau des Exbundesbankvorstands Thilo Sarrazin (SPD) in der Kritik. Eltern werfen der Grundschullehrerin einen autoritären Unterrichtsstil sowie verbale Ausfälle vor und fordern ihre Versetzung. So soll Sarrazin ein Kind mit einer Blockflöte geschlagen haben. Einen deutschjapanischen Schüler nannte sie „Suzuki“. Andere soll sie als „armseliges Opfer“ niedergemacht haben. Sarrazin weist die Vorwürfe weitgehend zurück. Sie sieht sich als Opfer einer Mobbingkampagne und sagt, sie werde wegen der Thesen ihres Mannes „in Sippenhaft genommen“. (dapd, taz)
VON ANTJE LANG-LENDORFF UND ALKE WIERTH
In einem Punkt hat sie recht, die umstrittene Grundschullehrerin Ursula Sarrazin: Dass sie, der Ausfälligkeiten gegenüber SchülerInnen vorgeworfen werden, so im Licht der Öffentlichkeit steht, ist tatsächlich ihrer ehelichen Verbindung zum Provokateur und Autor Thilo Sarrazin zuzuschreiben. Denn mit dem, was Ursula Sarrazin da tut – und was sich angesichts der Fülle von Vorwürfen wohl nicht mehr von der Hand weisen lässt –, ist sie kein Einzelfall. Dass Kinder und Jugendliche von Lehrkräften abqualifiziert werden, Demütigungen und Beleidigungen ausgesetzt sind, passiert leider an vielen Berliner Schulen – ohne dass darüber berichtet wird.
Es beginnt bei der Hauptschullehrerin, die von ihren SchülerInnen nur als „die“ spricht: „Die“ wollten das von ihr geplante Ausflugsziel nicht, „die“ finden 3 Euro pro Mittagessen zu teuer, „obwohl sie alle teure Markenturnschuhe haben“. Und geht bis zum Kreuzberger Gymnasiallehrer, der seine Unter- und MittelstufenschülerInnen als „aus asozialen Familien stammend“, „lernbehindert“ und „für das Gymnasium sowieso nicht geeignet“ beschimpft. Seinen OberstufenschülerInnen empfiehlt er, den Lernstoff fürs Abi doch einfach auswendig zu lernen: Das dürfe für sie ja kein Problem sein, schließlich lernten sie ja alle den Koran auswendig.
Manche Mütter und Väter wehren sich gegen solche Ausfälle: Jährlich erreichen laut Bildungsverwaltung bis zu 1.000 Elternbeschwerden die regionalen Schulaufsichten. Diese Zahl blieb in den letzten drei Jahren konstant. Kann ein deutliches Fehlverhalten des Lehrers belegt werden, gebe es verschiedene Sanktionsmöglichkeiten, so eine Sprecherin: Die Lehrkraft könne aus einer Klasse genommen oder an eine andere Schule versetzt werden. Je nach Rechtslage könne man den Betroffenen auch ganz aus dem Lehrbetrieb nehmen und in einem anderen Bereich beschäftigen.
Wie oft solche Sanktionen tatsächlich verhängt werden, konnte die Sprecherin am Montag nicht sagen. Das Verfahren scheint kompliziert: Alle in der Vergangenheit bestehenden Beschwerden gegen Ursula Sarrazin hätten nach ihrer Prüfung keine Grundlage für dienstrechtliche Konsequenzen geboten, so die Bildungsverwaltung.
„Am Beispiel der jahrelangen Debatten um Ursula Sarrazin wird deutlich, dass es angesichts des geltenden Beamtenrechts ein schwieriges Unterfangen ist, mit massiven Beschwerden umzugehen“, sagt Günter Peiritsch. Er sitzt im bezirklichen Elternausschuss in Charlottenburg-Wilmersdorf und hat die Vorwürfe gegen Ursula Sarrazin öffentlich gemacht.
Peiritsch will wissen, was alles passieren muss, damit einem Lehrer bei entsprechendem Fehlverhalten die gleichen Konsequenzen drohen wie sonst im öffentlichen Leben üblich. Jeden Tag würden weitere Vorfälle bekannt, sagt der Elternvertreter. „Wir gehen mit den gesammelten Beschwerden sorgfältig um und werden das auch entsprechend weiterverfolgen.“
LehrerInnen, die ihre SchülerInnen beschimpfen, sind – zum Glück – eine kleine Minderheit. Tatsächlich wird an den meisten Schulen versucht, einen respektvollen Umgang zu pflegen. Sicherlich stimmt es auch, dass SchülerInnen und Eltern selbstbewusster geworden sind – und einen Lehrer auch mal in die Enge treiben können.
Evelin Lubig-Fohsel, Lehrerin im Ruhestand und Dozentin bei Lehrerfortbildungen, unterrichtete ab 1969 jahrzehntelang an Grundschulen. In dieser Zeit veränderte sich das Verständnis von Schule, so ihre Beobachtung. „Früher haben die Eltern ihre Kinder abgegeben und sich nicht weiter gekümmert. Heute schauen sie genauer hin, was an einer Schule passiert.“
Gerade Eltern aus der Mittel- und Oberschicht wüssten mehr über Bildungskonzepte. „Sie hinterfragen, was im Unterricht passiert – und mischen sich ein.“ Viele ihrer KollegInnen hätten aber nicht das Bedürfnis danach, sich mit den Eltern zu befassen. „Sie glauben von sich: Ich bin im Klassenzimmer der Chef, mir kann keiner reinreden.“ Das sei in der Schulkultur so angelegt.
Denn in Schulen – das wird von denen, die Ursula Sarrazin in Schutz nehmen, gern vergessen – haben trotz gestiegenen Selbstbewusstseins von Schülern und Eltern die Lehrer die Macht immer noch in der Hand: Sie verteilen Noten, sie können Fehlverhalten nicht nur sanktionieren, sondern vor allem definieren. Klagen von Eltern und Schülern über Lehrer sind dagegen leicht auf die Ebene persönlicher Empfindlichkeit zu schieben. Schulinterne Beschwerden werden zudem aus Angst vor Nachteilen fürs Kind oft vermieden.
Auf Konflikte mit Eltern würden Lehrer in ihrer Ausbildung überhaupt nicht vorbereitet, sagt Lubig-Fohsel. Auch Probleme, sich in Klassen durchzusetzen, sprächen die meisten aus Angst vor einem Gesichtsverlust im Kollegium nicht offen an, berichtet sie. „Man macht die Tür zu und muss allein klarkommen. Lehrkräfte begreifen sich in der Regel als Einzelkämpfer“, so Lubig-Fohsel. Anlaufstellen für überforderte Lehrer gebe es an Schulen nicht. Wer Hilfe brauche, könne sich an die Lehrergewerkschaft wenden.
Wenn an den Schulen selbst offener über Probleme geredet würde, wäre sicherlich oft auch den SchülerInnen geholfen.