: Advent, Advent, ein Lichtdom brennt …
Zu Weihnachten sieht man vor lauter Lichtern, Leuchten und Lämpchen die Hand vor Augen nicht mehr
Dass Weihnachten im höchsten Maße schädlich ist, war immer schon klar. Infolgedessen findet es auch nur einmal im Jahr statt, und nicht etwa alle vier Wochen, was rein von der Zeit her durchaus durchführbar wäre. In einer Erzählung von Heinrich Böll feiert eine Familie jeden Tag das Weihnachtsfest mit dem Ergebnis, dass am Ende alle durchdrehen und Amok laufen. Das will niemand, und deshalb ist es ein weiser Vorsichtsmaßregelvollzug des Gesetzgebers, das Weihnachtsfest nur einmal pro Jahr zu befürworten.
Früher, ganz früher, da erkannte man Weihnachten daran, dass nur ein Licht war, oben am Himmel. Sie nannten es Stern, und es war der Stern von Bethlehem. Heute erkennt man Weihnachten daran, dass man nicht nur den Stern nicht mehr sieht, sondern auch keinen Sternenhimmel. Der wird vom irdischen Lichtermeer ausgeblendet. Es erstrahlen die Häuser, die Bäume, die Straßen, und sie erstrahlen hell, sie blinken und verwandeln ganze Reihenhaussiedlungen in eine gewaltige Lichterketten-Supernova.
Denn jetzt wird ausgeleuchtet, jetzt brennt die Hütte. Jahr für Jahr wird aufmunitioniert, werden neue Lichtanlagen in Stellung gebracht. Derzeit entspricht der Stromverbrauch der Weihnachtsbeleuchtung an manchem Reihenhäuschen dem eines europäischen Großflughafens, was nebenbei gesagt für den Flugbetrieb eine erhebliche Gefahrenquelle darstellt. Immer mehr Piloten wird angst und bange, wenn sie gerade noch erkennen, dass die vermutete Landebahn in Wahrheit nur ein Carport ist.
Wie das alles anfing, schwer zu sagen – in Amerika, dem Mutterland des Offensivkitsches? Oder doch in Deutschland, im letzten Krieg, als die alliierten Leuchtspurbomben wie Christbäume vom Himmel fielen und ganze Städte in dieser Festbeleuchtung verglühten?
Kein Zweifel, dass zwischen Weihnachtsfest und Krieg eine Affinität da ist. Schon der festlich mit Lametta und Kugeln geschmückte Baum ist nichts anders als eine gespenstische Erinnerung an den hochdekorierten, in irgendeinem Krieg gebliebenen Onkel, Opa, Vetter, der nun als nachdenklich nadelndes Gerippe in der Zimmerecke steht.
„Festbeleuchtung … – mal wieder Festbeleuchtung an, was?!“ Das abschätzig gemeinte Wort verwendete die Nachkriegsgeneration, um den Energiesünder zu rügen, der das Löschen des Lichts im Flur vergessen hatte. Als eine einzigartige, schier unbegreifliche Verirrung und unheilvolle Verschwendung müssen dieser Generation die neuartigen Lichtdome in den Vorgärten erscheinen, die Leuchtschlangen, die um Dachrinnen, Fenster, Zäune, um die Koniferenhecke gewunden sind und die jedes Haus in ein gleißendes Lichtermeer tauchen.
Die beklemmende und uns alle betreffende Frage ist natürlich die, wie’s weitergeht? Sicher, bei einigen Häusern gibt’s noch einschaltbare Elektrizitätspotenziale, ein paar Straßen bleiben noch zu erschließen. Aber was kommt dann?
Dann kommen wir. Jeder einzelne von uns wird beginnen, zu blinken, zu leuchten, zu flackern und zu flimmern, so wie es die kleinen Abzeichen, die auf Weihnachtsmärkten verkauft werden, jetzt schon tun. Kontaktlinsen mit eingebautem Fernlicht, Haare, die leuchten, lichtspendende Kleidung – wir werden es sehen. Alles läuft nach Plan.
Vielleicht ist es ja auch so: Einmal im Jahr, da gehen die Lampen an, damit es einmal im Jahr nicht so düster, dunkel und trist sei wie an den vielen, allzu vielen Tagen und Nächten sonst, in denen oft nur ein einziges Licht brannte, wenn man es brauchte: im Kühlschrank. RAYK WIELAND