: „Was noch da ist, wird weggefischt“
taz: Herr Froese, warum ist es schlimm, wenn der Kabeljau ausstirbt?
Rainer Froese: Die Folgen für uns sind unerfreulich. Denn das Leben in der Nord- und Ostsee wird sich stark verändern. Quallen werden sich vermehren, Krebse auch. Und Bakterien nehmen zu.
Woran liegt das?
Die eingespielte Nahrungskette wird zerstört. Der Kabeljau war in der Nord- und Ostsee der dominierende Fisch – und hat das Ökosystem kontrolliert. Er frisst Sprotten, Heringe und Krebse. Ist der Kabeljau weg, kippt das System. Dann können sich zum Beispiel Algen unkontrolliert ausbreiten. Sie sterben ab, fallen auf den Boden. Der Sauerstoffhaushalt kommt durcheinander. Bakterien können sich bilden.
Was machen Fischer falsch?
Sie fangen erstens zu viele und zweitens zu kleinen Kabeljau. 85 Prozent der Fische, die in den Netzen landen, sind noch so jung, dass sie gar keine Chance hatten, sich fortzupflanzen. Und: Je älter die Weibchen, desto mehr Eier laichen sie ab und umso schlauer. Sie wählen die beste Zeit und den besten Ort für das Überleben der Brut.
Wann ist ein Bestand gesund?
Wissenschaftler schätzen, dass 150.000 Tonnen Kabeljau in der Nordsee schwimmen müssen, damit sich der Bestand hält. Wir haben aber weniger als 30.000 Tonnen.
Gibt es noch Rettung?
Für die Nord- und Ostsee voraussichtlich nicht. Dort könnte nur ein Fangstopp, also eine Ruhepause für den Fisch, helfen. Doch darauf können sich die Agrarminister nicht einigen. Sie erlauben, dass nahezu alles weggefischt werden kann, was noch da ist. So wird sich wiederholen, was vor vierzehn Jahren schon im kanadischen Neufundland passiert ist. Dort ist der Bestand zusammengebrochen – und hat sich bis heute nicht erholt.
Das gilt nur für Nord- und Ostsee?
Kabeljau schwimmt auch in der Norwegischen See. Und dort geht es ihm besser. Anders als die EU-Staaten fischen die Russen und Norweger sehr behutsam. Behutsam heißt zum Beispiel mit großmaschigen Netzen, sodass kleiner Fisch hinausflutscht.
Darf man Kabeljau essen?
Verbraucher sollten an der Ladentheke fragen, wo der Fisch genau herkommt – und auf Kabeljau aus Nord- und Ostsee verzichten.
Gibt es eine Alternative?
Einige Firmen haben erkannt, dass sie in zehn Jahren keinen Fisch mehr verkaufen können, wenn alles beim Alten bleibt. In der Kühltheke finden Verbraucher zum Beispiel Wildlachs und Fischstäbchen aus dem Nordpazifik mit Ökosiegel. Die Hersteller garantieren, was europäische Politik nicht schafft: nicht mehr Fisch zu fangen, als nachwachsen kann. INTERVIEW: H. GERSMANN