: „Erfolg hält nicht ewig“
ZÄSUR Warum Spanien ausscheidet – und Spieler wie Trainer es selbst eher lapidar nehmen. Ihr Trost: Der Nachwuchs steht bereit
AUS RIO DE JANEIRO JOHANNES KOPP
Auch ganz besondere Ereignisse lassen sich ganz schlicht erklären. Das Scheitern des Welt- und Europameisters im zweiten Vorrundenspiel gegen Chile wird gewiss zu einem Eckdatum in der WM-Geschichte werden. Das zweite schon, das mit dem Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro verbunden sein wird, nach dem Scheitern der Brasilianer im WM-Finale von 1950.
Der argentinische Coach der Chilenen, Jorge Sampaoli, aber erklärte das Versagen der Spanier und damit den 2:0-Triumph seines Teams recht simpel: „Wir wissen doch, im Fußball ändert sich alles. Spanien hat in der Vergangenheit sehr gut gespielt, wundervolle Vorstellungen gegeben. Jetzt konnten sie das nicht fortsetzen. Erfolg hält eben nicht ewig an.“ Auf spanischer Seite wiederum versuchte sich Fernando Torres an der Banalisierung des Besonderen. Bei der WM in Südafrika, erinnerte der Angreifer, habe Spanien auch einige Glücksmomente gehabt – dieses Mal eben nicht.
Vielleicht hatten an diesem Abend sowohl Gewinner als auch Verlierer so schnell wieder den Boden unter den Füßen, weil es ein Scheitern mit Ansage war. Spaniens Trainer Vicente del Bosque sprach von dem „schweren Gepäck“, das man nach der 1:5-Auftaktniederlage mit sich herumgeschleppt habe. Das Team sei in der ersten Halbzeit zu schüchtern aufgetreten.
Mit einem ungenauen Pass im Mittelfeld leitete Xabi Alonso die schön herauskombinierte Führung durch Eduardo Vargas ein und vergrößerte die sowieso vorhandene Verunsicherung. Der zweite Treffer von Charles Aránguiz war die logische Folge. Der bei dieser WM besonders unglücklich agierende Torhüter Iker Casillas hatte den Treffer begünstigt, als er einen Freistoß von Alexis Sánchez in die Gefahrenzone zurückfaustete. Ein paar Minuten flackerte zu Beginn der zweiten Hälfte noch einmal die spanische Kunst des Ballbesitzfußballs auf. Nur blieb sie diesmal unvollendet. Diego Costa und Sergio Busquets hätten in dieser Phase ihr Team durchaus noch einmal zurück ins Turnier befördern können. Es fehlte eben die schon erwähnte Fortune.
Der durch die holländische Demontage beim Auftaktspiel ins Taumeln geratene Riese war letztlich mit den Chilenen, die sich weitgehend auf das David-Goliath-Spiel spezialisiert haben, auf den womöglich undankbarsten Gegner getroffen. Eine Verkettung ungünstiger Umstände, so kann man gewiss argumentieren. Oder war dies vielmehr das Ende einer Ära, wie manch einer postuliert? Das Ende des Zeitalters des Ballbesitzfußballs? Die spanische Zeitung El Mundial etwa sprach von einer „fußballerischen Zeitenwende“.
Eine Zäsur ist es fraglos. Und das Besondere bei diesem Turnier war, dass der Titelverteidiger auf Rückschläge nicht zu reagieren vermochte. Man habe ja die Fähigkeit zurückzukommen, erklärte Vicente del Bosque – eigentlich.
Aber dieser Coach, der während der gesamten zweiten Halbzeit so ratlos, so resigniert guckte, wie man von ihm bei keinem Turnier in den vergangenen sechs Jahren bei keinem Spiel gesehen hat, bilanzierte nur: „Wir waren 25 Tage zusammen, haben gut trainiert, und ich habe nie daran gedacht, dass wir nach der Vorrunde ausscheiden könnten.“ Da wirkte der ansonsten so charmante Mann, der doch immer über allem zu stehen schien, irgendwie fast resigniert.
„Wenn solche Dinge bei einer WM passieren“, sagte del Bosque, „haben sie natürlich Konsequenzen.“ Er bat sich aber Zeit aus, darüber nachzudenken, welche das sein könnten. Gut möglich, dass der 63-Jährige wie wohl auch einige Spieler, Xavi Hernández und Iker Casillas etwa, zurücktreten werden. Vielleicht will er aber auch zeigen, dass das spanischen Kurzpassspiel reformfähig ist.
Das Potenzial an guten Spielern in Spanien, dem aktuellen U21-Europameister, wäre dafür allemal da. Sergio Ramos sah an auch keinen Anlass, größere Abschiedsreden zu halten. Er sagte: „Ich glaube nicht, dass das das Ende eines Zyklus ist.“ Dass man die große Epoche des spanischen Teams habe erleben dürfen, gäbe Zuversicht, wieder anzugreifen.
Er betrachtet den Erfolg der Vergangenheit sozusagen als Saatgut für die Zukunft. Eine tröstliche, aber durchaus begründete Vision. Mit einer baldigen Rückkehr der Spanier ist zu rechnen, glaubt auch der chilenische Trainer Sampaoli: „Sie werden ihre Situation verbessern und in Kürze zurückkommen.“