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Archiv-Artikel

Widerstand ist nötig

THEATER Die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen bringt Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ im Theater am Leibnizplatz intensiv auf die Bühne

Manchmal sind die Nazis mitten unter uns und marschieren durch den Mittelgang zwischen den Publikumsrängen

VON JENS LALOIRE

Es ist eine wahre Geschichte: Kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris beschließt das Arbeiterehepaar Hampel, sich gegen die Politik der Nationalsozialisten zur Wehr zu setzen. Sie legen in Berlin Postkarten und Handzettel aus, in denen sie zum Widerstand gegen den Faschismus und zur Behinderung der Kriegsplanungen aufrufen. Ende 1942 werden die Eheleute denunziert, verhaftet, kurz darauf zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das Schicksal dieser beiden Widerstandskämpfer inspirierte Hans Fallada Ende 1946 zu einem Roman, der jahrzehntelang aus politischen Gründen lediglich in einer gekürzten Ausgabe erhältlich war. Erst 2011 erschien „Jeder stirbt für sich allein“ in der Originalfassung und avancierte in Deutschland zum Bestseller.

Nun hat sich die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen an den Stoff gewagt und sich dabei nicht allein auf das Textmaterial aus Falladas Roman beschränkt, sondern auch weitere Quellen mit einbezogen: Neben Zitaten von Sophie Scholl sind es vor allem Aussagen aus den Verhörprotokollen Georg Elsers, der 1939 nur knapp mit seinem Attentatsversuch auf Hitler scheiterte. Das Ehepaar Hampel, Sophie Scholl, Georg Elser – drei Beispiele für Menschen, die sich für den Widerstand gegen das Unrecht entschieden haben.

Die Frage, wie sich der Einzelne verhält, wenn um ihn herum Menschenrechte mit Füßen getreten werden, steht für den Regisseur Holger Möller im Zentrum seiner Inszenierung. Möller hat vor fünfzehn Jahren gemeinsam mit seinem Kollegen Roland Huhs die Theaterwerkstatt für Studierende der Hochschule gegründet. Seitdem haben die beiden zwei Dutzend Premieren mit wechselnden Besetzungen gefeiert.

Auch dieses Mal agieren auf der Bühne knapp zwanzig Studentinnen und Studenten, von denen manche bereits seit vielen Jahren Theater spielen. Die Leistung des gesamten Ensembles ist dabei durchaus beachtlich. Jeder der Darsteller muss in mehrere Rollen schlüpfen, um das im Stück aufgebotene Figurenpanoptikum auszufüllen. Da schmettern linientreue Nazis mit Inbrunst den Führergruß, da spielt ein aalglatter NSDAP-Karrierist seine neu gewonnene Macht aus, da versucht ein Gestapo-Kommissar, „bloß seinen Job zu machen“, ducken Mitläufer sich weg, wenn es gefährlich wird, liefert ein Bohemien für Geld seinen besten Freund ans Messer und jubeln Denunzianten, dass sie den Widerständler auf frischer Tat ertappt hätten.

Doch nicht allein die Ensembleleistung verdient Respekt, auch die Inszenierung ist erfreulich facettenreich: Intime Kammerszenen wechseln ab mit Nazigepolter-Gruppenchoreografien, brutale Momente mit komödiantischen Einlagen; ein Frauenchor spricht die Gedanken einer Widerständlerin, Georg Elser erläutert in nachdenklichen Monologen seine Attentatspläne, und manchmal sind die Nazis mitten unter uns und marschieren durch den Mittelgang zwischen den Publikumsrängen. Dazu gibt es Livemusik vom Akkordeonisten Florian Oberlechner und dem Percussionisten Christian Hiltawsky, die geschickt die Atmosphäre verdichtet und der Aufführung zusätzlichen Drive verleiht.

Wie wenig es dagegen manchmal im Theater bedarf, um zu berühren, beweist eine Szene, die etwas aus dem dramaturgischen Rahmen fällt: Kurz vor der Pause betreten acht Sechstklässler der Gesamtschule Ost die Bühne, treten einzeln ans Mikrofon und verkörpern für einen Augenblick einige jener 20 sechs- bis zwölfjährigen Kinder, die im April 1945 kurz vor Kriegsende in der Schule am Bullenhuser Damm in Hamburg von Nazis ermordet wurden.

Nüchtern berichten sie von ihrem Schicksal, dann ziehen sie ihre Schuhe aus, treten zur Seite und werden schließlich alle zusammen von Männern in Uniformen abgeführt. Eine starke Szene und der emotionale Höhepunkt einer über zweieinhalbstündigen Aufführung, die hier und da durchaus Längen aufweist, insgesamt aber ein intensiver Theaterabend ist, der nicht nur zeigt, dass Widerstand möglich, sondern auch heute überall dort nötig ist, wo Menschrechte missachtet werden.

■ letzte Aufführung: heute (Samstag), 19 Uhr, Theater am Leibnizplatz