: Parforcejagd des Großdenkers
LIBERALISMUS Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz hat sich von „den Vielen“ verabschiedet und sich Gewaltiges vorgenommen – einen Lagebericht über die „Herkulesarbeit der Freiheit“
VON RUDOLF WALTHER
Gleich auf den ersten Seiten zitiert der Berliner Professor für Kommunikationstheorie und Medienwissenschaft zwei Schwerathleten der Freiheitssicherung als Kronzeugen: Martin Heidegger und Carl Schmitt.
Heidegger, Philosoph aus der Finsternis des Schwarzwalds, hat sich um die Freiheit verdient gemacht mit seinen Überlegungen zu „Normalmenschen“ und „Starken“, vor allem aber mit der These von der „inneren Wahrheit und Größe“ (1953) des Nationalsozialismus. Schmitt, der Jurist aus Plettenberg, bewies seine Sensibilität in Sachen Freiheit schon 1934: „Der Andersdenkende, Andersempfindende und Andersgeartete“ wie „das Andersdenken als solches“ stören und zerstören das „völkische Empfinden“.
Begleitet von diesen beiden rabiaten Freiheitskämpfern und einem halben Dutzend Gesinnungsgenossen geht Bolz von Anfang an aufs Ganze. Er unterscheidet „großgeschriebene Freiheit“, wie sie nur Einzelne, Einsame, Mutige und Helden kennen und leben, von den kleinen „bürgerlichen Freiheiten“, wie sie in den Verfassungen stehen. Mit diesen Kleinfreiheiten – so der Großdenker – werde allenfalls die Restfreiheit gesichert, „lieber Bingo zu spielen als Jürgen Habermas zu lesen“.
Ohne Kant geht’s auch
Um der „großgeschriebenen Freiheit“ auf die Spur zu kommen, muss der Leser einiges in Kauf nehmen, denn die „anspruchsvolle Idee von Freiheit“ ist keine einfache Sache und schon gar nicht eine Frage der Logik oder der Wissenschaft, sondern eine „existentielle Frage“, denn es geht um die „metaphysische Dimension“ des Liberalismus. „Großgeschriebene Freiheit“ beruht nämlich für Bolz auf Gründen, „die die Vernunft nicht kennt“. Bolz verweist Kant, der Glauben und Vernunft bescheiden trennte, in die Schranken und plädiert für die Rückkehr hinter Kant – nämlich für „die Unterwerfung der Vernunft unter den Glauben“. „Man kann die Freiheit nicht beweisen“, sondern muss sich zu ihr „bekehren“ und an sie glauben. „Nur der hat einen freien Willen, der daran glaubt, einen freien Willen zu haben“, was zwar nur eine sich im Kreis drehende Behauptungspirouette ist, aber für Bolz so einleuchtend ist wie der Beweis der „Psychoneuroimmunologie“ dafür, dass „Hoffnung heilt“ und der Glaube Berge versetzt.
Das „Identitätsmanagement eines freien Menschen“ besteht darin, seinen „Willen“ und seinen „Beruf als Berufung“ zu erkennen und „sein Leben selbstverantwortlich“ zu führen. Die Freiheit des „freien Menschen“ und dessen „Lebensführung“ in der „Sorge um das wirklich Wichtige“ sind freilich umstellt von Feinden – philosophischen, politischen und medialen. Philosophisch ist der Erzfeind der Freiheit die Notwendigkeit, politisch der Sozialstaat und medial die öffentliche Meinung. Der Sozialstaat verspricht ökonomische Sicherheit, bevormundet und „versklavt“ aber gleichzeitig die Menschen. Bolz vermisst die „Tugend der Risikobereitschaft“ und forsches Unternehmertum, „Altar“ und „Opfer“, die zu seiner Idee eines „männlichen Liberalismus“ ebenso gehören wie der ganz alte „Heroismus“. Denn Helden zeigen, „dass das bloße Leben und Überleben nicht das gute Leben ist“. Die ganze Zivilisation (Konsum, Freizeit, Mode) steckt in einem „Entmännlichungsprozess“, und die Pädagogik hat Bolz zufolge „die Austreibung der Männlichkeit zum System“ gemacht.
Die blöden Vielen
Bolz wendet sich zwar einmal gegen den „Vulgärnietzscheanismus“ und hält Nietzsches „Polemik gegen die Masse“ für falsch, aber er pflegt ebenso gern rechtsgestrickte Ressentiments wie Sloterdijk, Sarrazin e tutti quanti: „Die Vielen, die nur leben wollen, können das, weil einige mehr als leben wollen“, sagt der lebenslänglich staatlich alimentierte Beamte Bolz. Geradezu einfältig sind die Vorstellungen des Medienwissenschaftlers von Medien und Öffentlichkeit: „Wenn die öffentliche Meinung in einer Massendemokratie gesprochen hat, bringt niemand mehr den Mut zum Widerspruch auf. Niemand wagt es, einem unabhängigen Gedankenzug zu folgen. Deshalb gibt es auch keine großen Denker mehr.“
Bolz’ Rundumschläge lassen nichts aus. Die meisten zehren von intellektuellen Notrationen wie der abgeschmackten Phrase, Kritik als „politisch korrekt“ zu denunzieren. Von der Hirnforschung über die Polemik gegen „Brüssel“ und „Bologna“ bis zum Lob auf Ehe und Kirche schließt Bolz alles ein. Seine Parforcejagd nach „dem Positiven“ endet damit, dass er seine Freiheit an den Pforten der Institutionen abgibt: Institutionen wie Märkte, Bürokratien und Ehen „funktionieren als Autopilot des Denkens. Sie entscheiden für uns, denken für uns und lösen unsere Probleme.“ An Universitäten dürfe man heute „dumm sein“, aber „nicht von der Parteilinie abweichen“. Die von Bolz verachtete „kleine Freiheit“ der Meinung gilt auch für geschwätzige und konformistische Professoren.
■ Norbert Bolz: „Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht“. Fink Verlag, München 2010, 169 Seiten, 16,90 Euro