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Archiv-Artikel

Kubas Lehrer auf der Suche nach Nebenjobs

SCHULSKANDAL Lehrer haben ihren Schülern die Aufgaben der Zugangstests für die Universitäten verkauft. Der Fall sorgt für Schlagzeilen. Doch die Krise an Kubas Schulen ist viel größer

VON KNUT HENKEL

Auf ihr Bildungssystem sind die Kubaner zu Recht stolz. Der Schulbesuch ist für alle kostenlos, die Alphabetisierungsrate liegt höher als in den USA. Erst zu Jahresbeginn lobte die Unesco, in puncto Bildung sei Kuba ein „Beispiel für die Welt“. Doch nun erschüttert ein Schulskandal die Insel, der die Grundfesten des Systems berührt.

Wegen illegalen Handels mit Prüfungsaufgaben sind Anfang Juni auf Kuba acht Verdächtige festgenommen worden. Darunter fünf Lehrer, ein Angestellter der Druckereiabteilung im Bildungsministerium sowie zwei weitere Personen. Die Lehrer sollen die Aufgaben des Aufnahmetests für die Universität für umgerechnet 75 bis 100 Euro an Schüler verkauft haben. Die kubanische Tageszeitung Granma, das Zentralorgan der regierenden kommunistischen Partei, sah in dem Handel mit den Prüfungsaufgaben „ein Attentat auf das Prestige des kubanischen Bildungssystems“.

Die festgenommenen Lehrer unterrichten an Preuniversitarios. So heißen die kubanischen Gymnasien, die Schüler ab Klasse 10 auf die Hochschulreife vorbereiten. Dort legen sie auch den Zugangstest für die Universität ab. Je besser das Ergebnis, umso größer die Wahrscheinlichkeit, ein begehrtes Fach, wie etwa Medizin, zu studieren, das nationales und internationales Fortkommen ermöglicht.

An mindestens fünf derartiger Schulen in Havanna kursierten den Informationen der Granma zufolge die Aufgaben und Lösungen für die Prüfungen in Mathe, Spanisch und Geschichte.

Eltern und Schüler hatten sich bereits vor Beginn der Tests, Ende Mai, an das Bildungsministerium gewandt und Hinweise auf die korrupten Lehrer gegeben.

Das Ministerium reagierte unerwartet zügig. In Spanisch und Geschichte wurden die Prüfungsthemen ausgetauscht und die bereits geschriebene Matheprüfung wurde mit neuen Fragen wiederholt. Ferner kündigten die Politiker an, dass der Betrug geahndet und die involvierten Lehrer, aber auch Eltern und Schüler zur Rechenschaft gezogen würden.

Das Vorgehen hat Signalcharakter. Der Fall ist nämlich kein Einzelfall. Schon im Vorjahr waren zwei Lehrer und ein Mitarbeiter einer Druckerei aufgeflogen, als sie die Matheprüfungs-Aufgaben gegen Geld anboten.

Doch diese beiden Fälle, die es in die offizielle Berichterstattung schafften, seien nur die Spitze eines Eisberges, so Iván García. Der in Havanna lebende Journalist schreibt unter anderem für die in Miami erscheinende Tageszeitung Diario Las Amerícas. Bei den Recherchen habe er mehrere Schüler gesprochen, die sagten, dass der Kauf von Prüfungsfragen nicht ungewöhnlich sei. Sie berichteten, dass es auch Lehrer gebe, bei denen sich die Schüler für gute Noten erkenntlich zeigen müssten.

Das Lehrergehalt reicht kaum zum Überleben

Symptome des Wandels in Kubas Bildungslandschaft. „Auf der einen Seite stellen Eltern Nachhilfelehrer an, weil ihnen das Schulniveau zu niedrig ist; auf der anderen Lehrer, die nebenbei arbeiten müssen, weil sie von ihrem Lohn nicht überleben können“, so Miriam Leiva. Die 67-jährige Übersetzerin und ehemalige Englischlehrerin arbeitet heute als Journalistin. „Das Bildungssystem befindet sich in der Krise. Es fehlt an jungen qualifizierten Lehrern und an moderner Ausstattung in den Schulen“, sagt Leiva.

Das macht sich allerorts bemerkbar. Ende 2008 appellierte Staatschef Raúl Castro an die erfahrenen Pädagogen der Insel noch ein paar Jahre dranzuhängen. Er lockte die Pädagogen mit einem Lehrergehalt zusätzlich zur Pension. Das sorgt für etwas Entspannung im unterbesetzten Bildungssystem des Landes, denn generell fehlt es an Personal, weil sich nur wenige Studenten entschließen können, Pädagogik zu studieren. Warum?

Weil ein gut ausgebildeter Germanistiklehrer wie José Alvárez Romagera mit gut 800 Peso nacional zwar eher zu den Besserverdienenden gehört, aber von dem Geld nicht würdevoll leben kann. 800 Peso nacional entsprechen rund 35 Euro, und viele lebensnotwendige Produkte wie Mehl, Milchpulver oder Speiseöl sind nur im Devisenshop erhältlich, wo mit dem Peso convertible bezahlt werden muss. Der Wechselkurs von 24:1 von Peso nacional zu Peso convertible sorgt dafür, dass das Gehalt des Lehrers wie Butter in der Sonne schmilzt. „Es reicht nicht zum Leben“, sagt der 60-jährige Pädagoge, der an einem Gymnasium in Santiago unterrichtet.

Der Lehrerberuf ist heute ähnlich attraktiv wie der des Zuckerrohrschnitters vor der Kubanischen Revolution von 1959. Viele Lehrer arbeiten nebenbei als Eisverkäufer, Touristenguide oder Reinigungspersonal in 5-Sterne-Hotels.

Die Regierung versucht nun umzusteuern. So setzt sie nicht mehr auf die Maestro emergentes, die Notlehrer. Das sind vor allem blutjunge Abiturienten, denen in Schnellkursen etwas Pädagogik eingetrichtert wird. Sie wurden seit Anfang der 2000er Jahre zunehmend eingesetzt, um die Lücken im Bildungssystem zu stopfen. „Die Jugendlichen verpflichteten sich für einige Jahre, Pennäler zu unterrichten. Doch die Erfahrungen sind nicht gut und die Qualität im Bildungsspektrum ist daher rückläufig“, erklärt Miriam Leiva.

Sinkende Qualität der Hochschulen

Das hat sich längst auch an der Spitze der Bildungspyramide bemerkbar gemacht – an den Universitäten. Im lateinamerikanischen Hochschulranking taucht die Universität von Havanna erst auf Rang 91 auf, und eine medizinische Fakultät aus Kuba hat es erst gar nicht ins Ranking von 2014 geschafft. Dies ist ein Alarmsignal für ein Land, das medizinische Fachkräfte im Ausland anbietet und damit Devisen generiert.

Auch bei der Ausstattung der Schulen gibt es Defizite, so der Schriftsteller Leonardo Padura, der in Europa gerade sein neues Buch „Ketzer“ vorgestellt hat. Padura moniert, dass der Lehrermangel zu einer Zunahme von Videounterricht geführt habe und dass immer weniger gelesen wird. „Klassiker der kubanischen Literatur fehlen in den Regalen der Buchhändler, so dass ich dem Kind einer Nachbarin schon das eine oder andere Buch leihen musste“, sagt der in Havannas Arbeiterstadtteil Mantilla aufgewachsene Autor.

Genauso alltäglich sei es, dass Eltern den Lehrern etwas Trinkgeld in die Hand drücken, weil sie wüssten, wie schlecht diese verdienten, berichtet der Journalist García.

Das könnte sich mit der Währungsreform, die in den nächsten zwölf Monaten kommen soll, ändern. Dann, so die Hoffnung der Regierung, soll das Missverhältnis zwischen Lohn und Lebenshaltungskosten endlich beseitigt werden.

An den strukturellen Defiziten des kubanischen Bildungssystems ändern wird sich dagegen kaum etwas. Das Ministerium hat bisher lediglich angekündigt, die acht Festgenommenen hart zu bestrafen.