Die dunkle Seite der Macht

KLASSIKER Am Hamburger Thalia Theater inszeniert Jette Steckel Schillers „Don Carlos“ als düstere Mühle der Macht

In der Frage der Inneneinrichtung seines Schlosses hat sich König Philipp II. von Spanien für eine einheitliche Lösung entschieden. Schwarz sollen die Böden, Wände und Möbel sein, und wo es geht, soll mattes Leder zum Einsatz kommen. Selbst die Wände sind mit schwarzen Lederpolstern verkleidet. Ein Palast wie eine Kommandozentrale aus dem Krieg der Sterne. Oder wie eine Gummizelle: antiseptisch und beständig gegen Ausfälle jeder Art.

In dieser düsteren Welt hat die junge Regisseurin Jette Steckel am Hamburger Thalia Theater ihre Inszenierung von Friedrich Schillers „Don Carlos“ angesiedelt. Wobei das Bühnenbild von Florian Lösche in sich beweglich ist: Ist eine Szene vorbei, beginnen sich der Boden und die darauf befindlichen Wände zu drehen, während das höfische Drama weitergeht. Die Schauspieler laufen beim Sprechen gegen die Drehrichtung des Bodens, um nicht von der Bildfläche zu verschwinden. Wer mitspielen will in dieser Welt, der muss sich anpassen. Nicht die Menschen beherrschen das System, sondern das System beherrscht die Menschen.

Das System, das ist bei Schillers „Don Carlos“ ein Hofstaat im 16. Jahrhundert, in dem eine Intrige die nächste jagt. Don Carlos ist der Sohn von König Philipp II. und liebt seine Stiefmutter, die die Frau des Königs ist. Für sein Werben braucht Carlos die Unterstützung seines Freundes Marquis von Posa, eines glühenden Verfechters von Gedankenfreiheit und Bürgerrechten. Die Heeresführer um König Philipp wiederum wollen zum Zwecke ihres Machterhalts Don Carlos und den Marquis von Posa kaltstellen. Und zwischen den Fronten gibt es noch die Hofdame Eboli, die Don Carlos liebt, aber eine Abfuhr kassiert und sich dafür rächen will.

Die Wege geheimer Briefe

Intrigiert wird an diesem Hofstaat in der Regel dadurch, geheime Briefe an Leute weiterzuleiten, die diese nie hätten zu Gesicht bekommen dürfen. Es ist nicht immer einfach zu folgen, welche Wege diese Briefe nehmen und wem sie schaden und wem dieser Schaden nützt. Aber „Don Carlos“ ist nicht nur ein verschachteltes, sondern auch ein wuchtiges Werk, es ist zugleich höfische Familientragödie, Liebesdrama und politisches Ideedrama.

Der Hamburger Zugriff, das Machtsystem in den Mittelpunkt zu stellen, ist einleuchtend: Es ist ein Anknüpfungspunkt an die Gegenwart mit ihren Debatten über Finanzmärkte und Systemkritik infolge der Wikileaks-Enthüllungen. Ebenso verständlich ist der Einstieg in den Abend mit einem an Kurt Cobain erinnernden Don Carlos, der sich in rotziger Weise lustig macht über Schillers gedrechselte Sprache. Sein erstes geheimes Treffen mit der Königin kommt als witzige Videoprojektion auf die Bühne. Alles das bildet in der Summe einen furiosen Auftakt. Aber dann: kommt nur noch Schiller.

Regisseurin Jette Steckel hat den umfangreichen Text nach Kräften auf rund dreieinhalb Stunden Spielzeit gekürzt, sie hat die Satzkonstruktionen vereinfacht und ihren durchweg großartigen Schauspielern die Freiheit gelassen, auch mal ein paar heutige Sprachgesten einzubauen. Grundsätzlich aber nimmt sie den Text sehr ernst und inszeniert das Pathos, das in ihm steckt, ohne Ironie. Es wird viel umarmt und geküsst und geschrien an diesem Abend, um im nächsten Moment mit einer Einspielung von melancholischem Pop wieder die Tonlage der Gegenwart einzubauen. Denn Jeckel, die mit 28 Jahren eine der großen Nachwuchshoffnungen im Regiefach ist, will beides: Sie will den Schiller ehren und gleichzeitig Brücken in die Gegenwart schlagen.

Und das gelingt ihr auch: Es ist eine Inszenierung, auf die sich viele Menschen werden einigen können. Was in dieser Inszenierung aber nicht steckt, das ist ein Wagnis. Es gibt ein handwerklich hohes Niveau, aber kein Abenteuer. Wenn Don Carlos und der Marquis von Posa als Zuschauer gekommen wären, hätten sie sich auf Dauer gelangweilt.

KLAUS IRLER