: Ein bissiger Abschied
ZOMBIES IN BERLIN Im Park in Neukölln und an der Schaubühne: Die Zwiefachen spielen „Nice to eat you!“, ein Stück, in dem es von Untoten wimmelt. Zugleich ist es die letzte Produktion des Jugendtheaterprojekts unter Uta Plate
Eine Hausgemeinschaft, die zu den Waffen greift, um ihre Feinde zu beseitigen, weil sie überall Zombies wittert: Das Stück „Nice to eat you!“ von Die Zwiefachen, dem Jugendtheaterprojekt der Schaubühne am Lehniner Platz, übersetzt die aktuellen Debatten über das Tempelhofer Feld in zum Teil recht drastische Bilder – ohne dabei theorielastig zu geraten. Am Ende weiß man nicht mehr: Was ist richtig, was falsch?
■ „Nice to eat you!“, im Junipark, St.-Thomas-Kirchhof in Neukölln, noch einmal 28. 6., 19.30 Uhr. In der Schaubühne, 26./27. 6., 4./5. 7., 19.30 Uhr, 10 €
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Mist. Ich dachte doch, ich hätte die Seite der Guten gewählt, als ich mich für die Gründung einer Hausgemeinschaft auf dem Gelände des „Juniparks“, einem wild überwucherten Grünstreifen nahe am Tempelhofer Feld entschied. Das schien eindeutig weniger kapitalistischen Verwertungsinteressen unterworfen als das Modell „Wohnen am Tempelhofer Meer“, für das der aalglatte Immobilienvertreter André Zieglach wirbt. Und längst nicht so hinterrücks ausländerfeindlich, wie das Konzept des erst ganz schüchtern auftretenden Tom, der hier mitten im Grünen ein „Connecting Paradise“ aufbauen will. Für erste Kontakte unter einsamen Großstädtern, das klingt noch okay; aber dann hebt er in seinem Fränkisch an, breit grinsend von der Zeugung von deutschen Kindern zu reden, und der Träumer entpuppt sich als Sarrazin-Fan.
Da schien doch Sabrinas Häusergemeinschaft „Juniversum“, basisdemokratisch organisiert, entschieden die sympathischere Variante für die Nutzung des „Juniparks“, über dessen Zukunft das Publikum des Stücks „Nice to eat you!“ am Ende abstimmen soll. Denkste. Denn bei ihrer Schlussperformance bricht Sabrinas paranoide Seite durch. Sie wittert Zombies in jedem, der bei ihr nicht mitmacht. Und die Hausgemeinschaft wird bewaffnet, um Feinde draußen abzuknallen.
„Nice to eat you!“ ist ein Stück voller Volten. Es bündelt viele der Diskussionen, die über das Tempelhofer Feld geführt wurden. Die ersten Aufführungen fanden unter freiem Himmel an der südlichen Grenze des Tempelhofer Feldes statt, in einer temporären Spielstätte, dem „Junipark“, von vielen Jugend- und Kulturinitiativen im Juni bespielt. Dunkle Wolken, das weite Tempelhofer Feld und spektakuläre Sonnenuntergänge lieferten ein unschlagbares Bühnenbild. Weitere Vorstellungen schließen sich in der Schaubühne (und auf einer nahen Wiese) an, denn „Nice to eat you!“ ist eine Produktion der Zwiefachen, der Jugendtheatergruppe der Schaubühne.
Es wimmelt von Zombies in diesem Stück, von Untoten, die nur durch Einverleibung von Lebendigem weiter bestehen können. Ein Teil von ihnen ist eindeutig erkennbar und umschleicht das Publikum gelegentlich bissfreudig. Andere sind schwieriger zu orten. Ist der Nerd Hans Peter Veit, der durch den Ausbau der Überwachungstechnik Sicherheit vor den Zombies verspricht, nicht selbst schon ihr Agent? Und was ist mit Cloe, die ein Drogenparadies zwischen den Büschen errichten will? Lebt sie ihr eigenes Leben oder saugt sie schon parasitär an anderen?
Was richtig und was falsch ist, kann man im Lauf des Stücks immer weniger entscheiden. Sogar, ob ein Zombie zu werden nicht die stressfreiere Alternative ist, taucht als Vorschlag auf – keine leicht zu durchdenkende These.
So ein Stück voller Thesen könnte sehr theorielastig sein – ist es aber ganz und gar nicht. Das liegt daran, dass die Figuren, die die Konzepte vertreten, so großartig gespielt werden. Tatsächlich haben die Zwiefachen ihre Rollen selbst entwickelt. Wie in allen Projekten von Uta Plate, die das Jugendtheaterprojekt der Schaubühne vor 15 Jahren gegründet hat. Mit „Nice to eat you!“ nimmt sie ihren Abschied. Deshalb spielen auch noch einmal junge Menschen mit, die in früheren Jahren teilgenommen haben und inzwischen Ausbildungen als Schauspieler, Erzieher oder in der Stadtentwicklung machen.
Uta Plate begann 1999, als die Schaubühne ein neues Viererteam als Leitung wählte, mit Sasha Waltz, Jens Hillje, Thomas Ostermeier und Jochen Sandig. Sie war damals die erste Theaterpädagogin an einem Haus für Erwachsene in Berlin. Dass sie in der Zeit mit den Zwiefachen zu vielen Generalproben der Schaubühne ging, die Choreografinnen Sasha Waltz und Constanza Macras, die Regiehandschriften von Ostermeier und Luc Perceval studieren konnte, machte auch für sie diese 15 Jahre zu einer permanenten Fortbildung, wie sie im Interview erzählt.
Das hat man den Produktionen der Zwiefachen angemerkt. Auf der einen Seite war die große Sorgfalt spürbar, Figuren zu entwickeln, die für die Darsteller etwas mit ihren eigenen Fragen an das Leben, an die Gemeinschaft, an sich selbst zu tun hatten. Auf der anderen Seite probierte die Gruppe immer wieder neue Wege aus, einen Stoff zu entwickeln. Sich mit dem auseinanderzusetzen, was ihnen für die Zukunft Angst macht oder was sie wütend macht, führte zu „Nice to eat you!“.
Andere Stücke fragten, wie man Biografien erzählt und konstruiert; was die Kategorie des Schicksals bedeutet; und einmal führte eine Recherche-Reise die Gruppe nach Theresienstadt. Beinahe immer war ein Jahr Zeit, Versuchen und Herantasten an den Stoff Raum zu geben, bevor die Stücke am Ende der Spielzeit herauskamen. Ein Luxus, sagt Uta Plate.
Trotzdem hat sie sich entschlossen, zu gehen, mit Mitte vierzig einen Wechsel zu wagen, noch andere Orte und Strukturen für die Öffnung des Theaters auszuprobieren. Der Abschied fällt ihr schwer. Mit „Nice to eat you!“ hat sie sich, den Zwiefachen und ihrem Publikum ein großartiges Geschenk zum Schluss gemacht.