King Tubby

Eigentlich entstand die moderne Popmusik aus einem Fehler. Als der gelernte Rundfunktechniker Osbourne Ruddock 1964 in einem jamaikanischen Studio eine Vinylplatte schneiden sollte, vergaß er am Mischpult den Regler für die Gesangsspur nach oben zu ziehen. Übrigblieb ein Dub, ein Instrumental, das Ruddock an der Bandmaschine neu arrangierte, mit Echo und Hall versah und im Mix Bass und Drums nach vorne mischte.

Seitdem kennt die Welt den Remix, und Ruddock, der sich King Tubby nannte, war sein erster Großmeister. Niemand konnte aus der Enge eines kleinen jamaikanischen Studios ähnlich verhallte Kathedralen erschaffen, in denen der Bass voller Präsenz von „out there“ erzählte. Tubby spielte das Mischpult wie ein Instrument, improvisierte mit den Reglern, experimentierte mit Effekten, so dass kein Mix wie ein zweiter klang. „Als ich King Tubbys erstes Album ‚Roots of Dub‘ hörte, fiel mir auf, wie es dazu führte, dass sich Lautsprecher abnormal verhielten“, erinnert sich Hopeton „Scientist“ Brown, der zusammen mit Lloyd „King Jammy“ James die rechte Hand im Studio von King Tubby werden sollte. Der mächtige Subbass provozierte ein bis dahin unbekanntes Körpergefühl, dem europäische Rockkritiker zuerst begriffsstutzig gegenüberstanden: „Dub ist das akustische Äquivalent zur Drogenerfahrung“, schrieb der Melody Maker 1976 und erfand so das Klischee des verkifften Dubtracks. Tubby selbst rührte kein Gras an. Nur so konnte der Remix-Großmeister die Nachfrage nach Dubplates mit seinen Mixen befriedigen, die den DJs der jamaikanischen Soundsystems den entscheidenden Wettbewerbsvorteil einbringen sollten. Der Legende nach erstürmte das Publikum den Boxenturm, als Tubby seine Dubs das erste Mal über sein Soundsystem spielte.

„Er hat im wissenschaftlichen Sinn wirklich verstanden, was Sound ist“, hat der große Radio-DJ und Toaster Mikey Dread einmal über ihn gesagt. Der Lötkolben war Tubbys zweites Instrument. Egal ob Mischpult, Echo oder Filter – jedes Gerät wurde durch seine Hand verändert, bis es seine persönliche Soundsignatur trug. Als 2007 einer seiner selbst gebauten Lautsprecher bei eBay versteigert wurde, zahlte ein Reggae-Fan aus Bristol 400 Pfund Versandkosten, um ihn in sein Soundsystem einreihen zu können. Bei so viel auratischer Verklärung ist es fast schon ironisch, dass sein Assistent King Jammy ausgerechnet mit einem billigen Casio-Sampler jamaikanische Musik endgültig in die digitale Ära katapultieren sollte. Welche Hallwelten King Tubby mit moderner Software erschaffen hätte, werden wir dagegen nie erfahren. Am 6. Februar 1989 wurde er in Kingston erschossen. Heute wäre er 70 Jahre alt geworden.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE