: Er will keinen „Quasi-Verteidigungsfall“
Aber Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble geht mit seinen Vorschlägen weiter, als Karlsruhe erlaubt
FREIBURG taz ■ Er will die Rechtsordnung nicht auf Kriegsbedürfnisse umstellen. Er will „nur“ die Bundeswehr gegen Terroristen einsetzen. Innenminister Schäuble hat sich gestern vom Begriff „Quasi-Verteidigungsfall“ distanziert: „Dieser Begriff stammt nicht von mir.“ Tatsächlich ist der Begriff missverständlich, denn die Feststellung des Verteidigungsfalls hat laut Grundgesetz Auswirkungen, die beim Einsatz der Bundeswehr gegen einen Terrorangriff weder nötig noch sinnvoll, noch erwünscht sind.
Im Verteidigungsfall wird die Verfassungsordnung auf Kriegsbedürfnisse umgestellt – mit gravierenden Folgen: So können etwa Gesetze im Schnellverfahren beschlossen werden. Ein Gemeinsamer Ausschuss kann Bundestag und Bundesrat ersetzen. Wegen solch äußerst weitreichender Konsequenzen muss der Verteidigungsfall stets vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats festgestellt werden – wobei es im Eilfall durchaus Ausnahmen gibt.
Schäuble will all diese Regelungen nun gerade nicht auf terroristische Angriffe anwenden. Deshalb wird hier auch nicht der Bundestag entmachtet, wie FDP-Politiker kritisierten. Schäuble will im Terrorfall die Befugnisse des Gesetzgebers nicht verkürzen. Er will „nur“ die Bundeswehr einsetzen, und er will Flugzeuge mit Passagieren abschießen können, um einen noch schlimmeren Anschlag zu verhindern. Es geht ihm also nicht um die Schaffung eines „Quasi-Verteidigungsfalles“, sondern um den Einsatz der Bundeswehr zur „Quasi-Verteidigung“.
Diese Nähe zum Krieg sucht Schäuble deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Februar 2006 den Abschuss besetzter Flugzeuge nur für „nichtkriegerische Luftzwischenfälle“ verboten hat. Es lässt offen, ob „der Einzelne im Interesse des Staatsganzen notfalls verpflichtet (ist), sein Leben aufzuopfern“. Schäuble versucht nun, die legale Möglichkeit zum Abschuss entführter Verkehrsmaschinen doch noch zu retten: Er stuft solche Terrorangriffe als quasi-kriegerisch ein.
Damit geht Schäuble aber zu weit, denn Karlsruhe hat Anschläge wie den vom 11. 9. 2001 eindeutig als nichtkriegerisch bezeichnet. Daran muss sich auch der Innenminister halten. Außerdem ist die von ihm vorgeschlagene Formulierung uferlos. Sie würde den Einsatz der Bundeswehr bei fast jedem schweren Terrorangriff erlauben – und nicht nur bei solchen mit gekaperten Flugzeugen. Die Bundeswehr könnte jede beliebige Maßnahme zur Verteidigung anwenden: etwa ganze Stadtviertel besetzen und durchsuchen. Christian Rath