Aus der Trickkiste des Kinos

Wir wollen alle hinters Licht geführt werden: Christopher Nolan lässt in „Prestige – Meister der Magie“ zwei Zauberkünstler gegeneinander antreten

von ANDREAS BUSCHE

Kino-Illusionist Georges Méliès konnte mit einem einfachen Trick Gegenstände verschwinden lassen: Er machte einen kleinen Cut in der Positivkopie seines Filmes, sodass bei gleichbleibender Kadrierung und unter Berücksichtigung der Kontinuität des Handlungsablaufs die Illusion eines plötzlichen Verschwindens entstand. Das Publikum des späten 19. Jahrhunderts hatte Gefallen an solchen optischen Spielereien. Méliès selbst sah sich weniger als Filmemacher denn als Illusionist oder Magier in der Tradition des Vaudeville-Theaters. In den Varieté-Shows, in denen das frühe Kino Seite an Seite mit Taschenspielern, Artisten, Komödianten und Tierdompteuren um die Gunst des Publikums buhlte, waren Méliès’ Filme bestens aufgehoben. Mit den Mitteln des Kinos kreierte Méliès einfache, aber effektvolle Illusionen. Seine Filme waren keine abgefilmten Kunststücke, sondern selber Zaubertricks, bedingt durch den mechanischen Kinoapparat.

Der britische Regisseur Christopher Nolan hat einiges mit Méliès gemein. Sein neuer Film „Prestige – Die Meister der Magie“ ist aufgebaut wie ein klassischer Zaubertrick. Und wie bei Méliès liegt auch bei Nolan die Täuschung im Schnitt, der hier allerdings, wie schon in „Memento“ (2000), der Logik der Diskontinuität folgt. „Jeder magische Trick“, erklärt Michael Caines Illusionist Cutter am Anfang, „besteht aus drei Akten.“ Der erste, das Versprechen, zeige etwas vermeintlich Bekanntes. Im zweiten Akt, der Wendung, verwandle der Illusionist dieses Bekannte in etwas Außergewöhnliches. Im dritten Akt, Prestige genannt, stecke schließlich das Geheimnis. Hier offenbare der Illusionist seine Fertigkeit, indem er dem Publikum etwas zeigt, was es noch nie zuvor gesehen hat. Das Prestige ist das Herzstück eines Zaubertricks. Ein guter Illusionist verfügt nicht zwangsläufig über die besseren Tricks; er muss einfach nur die überzeugendere Show liefern.

Hier verlaufen in „Prestige“ die Konfliktlinien. Robert Angier (Hugh Jackman) und Alfred Borden (Christian Bale) haben ihr Handwerk bei dem Illusionisten Cutter gelernt. Der adlige Angier ist ein begnadeter Entertainer, ohne die Finessen des Illusionismus zu beherrschen. Borden dagegen ist ein Purist, dem die Illusion über alles geht. Für das theatralische Brimborium, mit dem Angier sein Publikum um den Finger wickelt, hat er nichts übrig. Aus den Kollegen werden erbitterte Feinde, als Angiers Frau durch einen vermeintlichen Fehler von Borden ums Leben kommt. Angier sinnt auf Rache, und mit wachsendem Hass beobachtet er Bordens beruflichen Aufstieg und dessen privates Glück. Bordens Meisterstück ist „Der transportierte Mann“: Der Trick besteht darin, dass Borden durch eine freistehende Tür geht, um im selben Augenblick aus einer zehn Meter entfernten Tür wieder herauszutreten. Niemand weiß, wie der Trick funktioniert, und Borden würde das Geheimnis eher mit ins Grab nehmen, als sein größtes Kunststück zu verraten.

„Prestige“ spielt an einem historischen Wendepunkt, dem Übergang der viktorianischen Ära zum Industriezeitalter. Nicht ganz zufällig die Zeit, in der auch Méliès seine ersten Erfolge feierte; die Anfänge des Kinos liegen genau zwischen diesen beiden Welten. Nolan führt sein spätviktorianisches London als polyphonen Ort dieser Aufbruchsstimmung vor: Massenkommunikation, der Ausbau des städtischen Verkehrswesens und flächendeckende Werbung haben bereits ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen.

Nolan ist der Faszination für die modernen Maschinen, die die aufkommende Industrialisierung hervorbrachte, erlegen. Denn auch er ist ein Illusionist, ein brillanter Blender und Trickser. Ihn interessiert die Mechanik der Illusion, so wie er über seine vertrackten, teilweise doppelt verschraubten Flashback-Erzählungen und rückläufigen Handlungsstränge auch die Ordnungslogik konventioneller Erzählweisen offen legt. Nolan will beides, die Illusion und ihre Rationalisierung. Darum hat es Sinn, dass „Prestige“ in jenem historischen Augenblick spielt, in dem das naive Staunen der Faktizität der modernen Wissenschaften weichen musste.

Der Erfinder Nikola Tesla (gespielt von einem fast unkenntlichen David Bowie) verkörpert in „The Prestige“ diese Ultima Ratio. In die Populärkultur ist Tesla als „Mad Scientist“ eingegangen, der verrückte Wissenschaftler, eine Inspiration für Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaften. Bowie verleiht ihm hier eine distinguierte Bestimmtheit. Angier sucht Tesla in seinem entlegenen Laboratorium in Colorado Springs auf, um hinter das Geheimnis des „Transportierten Mannes“ zu gelangen und mit diesem Wissen Borden zu schlagen. Diese Mischung aus Obsession und Wahnsinn treibt fast alle Figuren Nolans um. Tesla fungiert in „Prestige“ als eine Art Rückversicherung: das Bindeglied von Fakt und Fiktion. In seinem Laboratorium, wo eine riesige Tesla-Spule elektrische Spannungsbögen schlägt, ist das zwanzigste Jahrhundert längst angebrochen. Hier wird der vormoderne Hokuspokus auf wissenschaftliche Füße gestellt.

Das Tolle an „Prestige“ ist, dass die Mechanik von Nolans Illusion genauso fasziniert wie die Illusion selbst. Sie mag fragil sein wie einer von Méliès durch Dutzende von Klebestellen zusammengehaltener Filmstreifen, aber am Ende geht der Trick immer auf unsere Kosten. Michael Caine hat ganz Recht, wenn er sagt, dass wir eigentlich doch nur hinters Licht geführt werden wollen.

„Prestige – Die Meister der Magie“,Regie: Christopher Nolan.Mit Michael Caine, Christian Bale u. a., USA/GB 2006, 128 Min.