: „Ich will kein Held sein“
„Die Attentäterin“ heißt der neue Roman von Yasmina Khadra, der erst Soldat war, bevor er als Autor der Krimis um Kommissar Llob international bekannt wurde. Ein Gespräch über Islamisten, Machteliten und „den“ Westen – Wutausbruch inbegriffen
INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH UND DOROTHEA MARCUS
taz: Herr Khadra, wie lange haben Sie in der algerischen Armee gedient?
Yasmina Khadra: Mit neun Jahren steckte mich mein Vater in eine Militärschule. Dort blieb ich bis zum Abitur und wurde dann Offizier der Armee. Das war ich 25 Jahre lang, bis ich im September 2000 die Armee verlassen habe. Seitdem konzentriere ich mich auf die Literatur.
Wann fingen Sie an, neben dem Armeedienst Romane zu verfassen?
Da war ich noch sehr jung. In meinem Stamm gab es immer schon viele Dichter. Einer meiner Vorfahren war ein großer Dichter und hat als Stammesoberhaupt bereits 1425 die erste multidisziplinäre Schule der Sahara gegründet. Andere waren wichtige Schriftgelehrte im 17. und im 19. Jahrhundert. Erzählungen begleiteten mich von Geburt an, so wie den Musiker das Vogelgezwitscher. Es waren vor allem die mündlichen Überlieferungen, die 500 bis 600 Jahre weitererzählt wurden und die mich als Bestandteil der Stammestradition prägten.
Ihre auch ins Deutsche übersetzte Kriminaltrilogie mit dem Kommissar Brahim Llob als Hauptfigur handelt in der Hochphase des algerischen Bürgerkriegs Mitte der 1990er-Jahre. Sie veröffentlichten diese im Gegensatz zu Ihren vorherigen Romanen unter dem Pseudonym Yasmina Khadra. Warum?
Bis 1988 hatte ich sechs Bücher unter meinem Geburtsnamen Mohammed Moulessehoul geschrieben. Damals wollten meine Vorgesetzten von mir als Schriftsteller aber nichts mehr zu hören bekommen. Die Armee hatte mir ein Zensurkomitee vorgesetzt. Also entschied ich mich, anonym zu veröffentlichen. Ich fing an, Bücher zu schreiben, die damals zu meinem Unglück niemand interessierten. Sie sprachen über den Aufstieg des Islamismus und von einem Bürgerkrieg, der in Algerien gerade im Begriff war, zu explodieren. Niemand schien das zu glauben, was ich damals aus der Perspektive des Kommissar Llob geschrieben und zunächst unter diesem Namen auch veröffentlicht habe.
Sie waren während des Bürgerkriegs selber Offizier der Armee: Wen haben Sie mehr gehasst, die Islamisten oder die von ihnen als korrupt geschilderte algerische Staatselite?
Erst einmal: Ich hasse niemanden. Ich befinde mich nicht im Zustand des Hasses, sondern im Kummer. Mein Land ist im Begriff, sich in Rauch aufzulösen. Der Hass hat noch nie Dinge positiv gelöst. Ich habe vielmehr immer betont, gerade in Frankreich, dass die Islamisten zunächst auch Opfer gewesen sind. Die Machteliten, Korruption und Inkompetenz sowie der Ausschluss der Jugend sind in Algerien verantwortlich für die Entwicklung. Wären in Algerien intelligente Leute an der Regierung gewesen, viele junge Leute wären nicht so früh gestorben oder zu Mördern geworden. Sie hätten Lehrer, Künstler und ganz normale Familienväter werden können, aber diese Perspektive hatten sie nicht.
Ihre dann unter dem Pseudonym Yasmina Khadra veröffentlichte Kommisar-Llob-Trilogie machte Sie in Europa Ende der 1990er-Jahre bekannt. Wie war das Echo in Algerien?
Viele junge Leute haben mit diesen Büchern zum ersten Mal in ihrem Leben angefangen zu lesen. Ich glaube, der Kommissar Llob weckte in meinem Land eine Begeisterung für Literatur. Auch von Intellektuellen erfuhr ich zumindest eine gewisse Anerkennung. Die Machteliten mögen natürlich nicht, was ich schreibe.
Und die Islamisten, wie reagierten die?
Die mögen mich ebenfalls nicht. Ich spreche in meiner Literatur über eine Realität, die sie zu verstecken suchen. Die Wahrheit stört da nur. Ich kritisiere beide Seiten, die Islamisten und die Staatseliten. Der Staat trägt die Verantwortung dafür, dass die Jungen Islamisten wurden. Und die Islamisten tragen die Verantwortung dafür, dass sie als Terroristen schlimmer als der Staat sind. Es ist ein Teufelskreis. Ich schreibe vor allen Dingen, um die Menschen aufzuwecken.
Wurden Sie oder Ihre Familie bedroht, nachdem Sie Ihr Pseudonym vor sechs Jahren lüfteten und nach Frankreich gingen?
Davon möchte ich nicht sprechen. Ich bin Schriftsteller und will kein Held sein.
Was glauben Sie: Wie groß ist der literarische Markt in Algerien, wie viele Menschen haben Ihre Bücher gelesen?
Das ist schwer zu sagen. In Algerien waren meine Bücher früher sehr teuer – auch ein effektives Mittel von Zensur. Aber die einzelnen Bücher wurden von ungeheuer vielen Menschen gelesen. Von wie vielen? Wer will das sagen? Ich habe mal jemanden getroffen, der in einem Hochhaus lebte. Er hatte ein Exemplar von „Morituri“ gekauft und der ganze Block hat dieses eine Buch dann gelesen.
Warum haben Sie, nachdem Sie den Armeedienst im Jahr 2000 quittierten und mit Ihrer Familie nach Frankreich zogen, Ihren wirklichen Namen verraten?
Ich ging aus freien Stücken nach Europa, um dort zu leben und zu arbeiten. Wir sind nicht ins Exil gegangen und ich wurde in Algerien auch nicht verfolgt. Aber da ich nicht mehr in der Armee war, gab es für mich auch keinen Grund mehr, anonym zu bleiben. Jetzt kann ich nackt über die Straße laufen und niemanden interessiert das.
Was geschah in Algerien, als man erfuhr, dass Sie sich hinter Yasmina Khadra und dem Kommisar Llob verbargen?
Das war eine große Überraschung. Ich glaube, das algerische Telefonnetz glühte, als ich das in der Fernsehsendung von Bernard Pivot kundtat. Wochenlang war es ein Medienthema.
Kann ein Offizier einer Armee, die sicherlich in ihrem Antiterrorkampf auch schwere Menschenrechtsverbrechen begangen hat, als Schriftsteller ein glaubwürdiger Botschafter des Humanismus sein?
Auf welcher Basis wagen Sie zu sagen, dass die algerische Armee Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat?
Aufgrund von Amnesty-international-Berichten, den internationalen Medien …
Ich habe einen Insiderblick und ich bin nicht hierher gekommen, um die Armee zu verteidigen. Lassen Sie uns über mein neues Buch zu sprechen. Alles andere kotzt mich an!
Journalisten müssen auch unangenehme Fragen stellen …
Seit fünf Jahren stellt man mir immer die gleichen Fragen! Aber nicht alle Armeen sind Naziarmeen. Wir sind Muslime in Algerien. Achtzig Prozent der algerischen Armee besteht aus einer Einberufungsarmee. Das sind fast noch Kinder, die gar nicht wissen, was töten ist. Und um diese Kinder zu töten, muss ein Islamist schon ein Verrückter sein. Ich habe im Krieg gekämpft. Es ermüdet mich, hier darüber zu sprechen. Ich will über meinen neuen Roman reden und über nichts anderes!
Ihr neuer Roman, „Die Attentäterin“, spielt in Israel und Palästina. Ist die Situation dort mit der algerischen vergleichbar?
Nicht im Geringsten. In Algerien war es ein Moment des Wahnsinns. Eine innenpolitische Krise, die es der Macht ermöglichte, im Amt zu bleiben, und die Jungen daran hinderte, sich zu emanzipieren. In Palästina sehe ich vor allem die Feigheit des Westens vor der arabischen Welt. Die westlichen Armeen, die Briten und die US-Amerikaner, haben dort einen Staat als dauernden Spannungsherd geschaffen. Das geht seit 60 Jahren so. Es sind vor allem die Engländer, die dafür Verantwortung tragen. Und die Opfer dieses Krieges sind Israelis und Palästinenser gleichermaßen. Ich habe dieses Buch geschrieben, um beiden Seiten zu sagen: Wacht auf! Man hat euch eure Köpfe geklaut. Ihr spielt Theater für andere Leute. Gewinnt euer Selbstvertrauen zurück, beruft euch auf eure Intelligenz und sucht den Frieden.
Wie haben Sie für dieses Buch recherchiert?
Ich habe es in nur zwei Monaten geschrieben. Auch wenn es in Israel und Palästina spielt: Aus politischen und kulturellen Gründen konnte ich nicht dorthin reisen. „Die Attentäterin“ spricht von weit verbreiteten Mentalitäten, weniger von der Religion als von der sinnlosen Verschwendung des Lebens.
Der Konflikt im Nahen Osten wurde und wird sehr viel stärker beachtet als der Bürgerkrieg in Algerien. Was glauben Sie, ist der Grund dafür?
Medien interessieren sich hauptsächlich für das Spektakuläre. Um es brutal auszudrücken: Sie schauen dorthin, wo die Bäuche offen sind und das Blut in Strömen fließt. Die Gewalt interessiert sie mehr als die Kräfte, die dagegen sind. Im Fernsehen sieht man fast nur diejenigen, die den Hass predigen. Diejenigen, die intelligent sind und vom Ausgleich sprechen, sieht man nicht. Dabei sind manche Dinge doch interessant: Die algerische Armee ist zum Beispiel besser mit den Islamisten fertig geworden als die US-Amerikaner an anderen Orten. Und ich behaupte: Solange der Westen – ich rede nicht vom Volk, sondern von den Politikern und den Medien – nicht versteht, welche Bedeutung es hat, die Wahrheit zu sagen, so lange hat der Islamismus noch weitere viele Jahre vor sich.
Und in Algerien?
Dort ist er besiegt, kann aber jederzeit zurückkehren. Das Land war einfach zu müde, um weiter zu kämpfen. Doch auch die algerische Demokratie ist im Begriff zu sterben. Denn: Wer braucht schon ein blühendes Algerien? Die Welt teilt sich in reiche und arme Länder. Und die ärmeren sind immer die Spannungsherde. Algerien ist ein großes und potenziell reiches Land. Nach den religiösen scheinen nun aber die ethnischen Spannungen zuzunehmen. Sie werden von außen geschürt.
Fahren Sie noch oft nach Algerien?
Natürlich. Es ist mein Land. Ich habe kein anderes. Niemand, kein Präsident, kein Guru und kein Terrorist, wird mich jemals daran hindern, zurückzufahren. Dieses Recht verteidige ich mit Hilfe der Kunst und der Schreibfeder.