: „Der Patient kommt am allerwenigsten vor“
Der langjährige SPD-Gesundheitssprecher Klaus Kirschner wirft der großen Koalition vor, ihre Ziele zu verfehlen
taz: Herr Kirschner, tut Ihnen Ihre Exkollegin und Ministerin Ulla Schmidt eigentlich Leid?
Klaus Kirschner: Manchmal schon. Denn das ist eine schwierige Gemengelage zurzeit. Aber wer ein Amt wie das der Gesundheitsministerin ausübt, weiß, dass er im Piranhabecken sitzt.
Was macht Frau Schmidt im Umgang mit Piranhas falsch?
Sie darf nicht nach dem Motto verfahren: Viel Feind, viel Ehr. Frau Schmidt müsste sich viel mehr am Grundsatz orientieren: Was nützt es dem Patienten.
Alle streiten um die Gesundheitsreform, welches Spiel wird da eigentlich in Berlin gespielt?
Der Ball liegt zurzeit immer auf dem Elfmeterpunkt der anderen Seite. Jeder will sich als Gewinner darstellen. Hier wird die große Chance vertan, eine Gesundheitsreform zu machen, die diesen Namen verdient.
Hat dieser Streit noch irgendetwas mit der Reform zu tun?
Hinter diesem Streit stecken Profilierungsinteressen einzelner Personen und Parteien und natürlich Lobbyinteressen. Das ist fatal – denn diese Koalition hat eine so komfortable Mehrheit, dass sie nicht auf Einzelinteressen oder auf die Opposition Rücksicht nehmen muss.
Aber es müsste Ihnen als Baden-Württemberger doch gefallen, wenn sich Ihr Landesvater dafür einsetzt, dass dem Land nicht Milliarden infolge der Reform entgehen?
Das lenkt doch vom eigentlichen Problem ab. Eigentlich müssten die politisch Verantwortlichen über Gesundheitsziele streiten, über neue Versorgungsstrukturen angesichts der demografischen Entwicklung und danach um die Frage, wie viel Geld dafür notwendig ist. Wir haben diesen Finanzausgleich zwischen den Ländern 1992 bewusst eingebaut, und der damalige Gesundheitsminister hieß Horst Seehofer.
Der jetzt Verbraucherschutzminister ist.
Ja, er sitzt mit am Kabinettstisch. Er müsste in so einer Situation klarmachen, dass die Finanzströme zwischen den Bundesländern gewollt sind.
Hat das Gezänk denn irgendwelche Auswirkungen auf die Versicherten?
Der Patient kommt bei dieser Auseinandersetzung am allerwenigsten vor – und um den sollte es bei der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich gehen. Hauptsächlich geht es nur um die ökonomische Frage: stabiler Beitragssatz. Und selbst dieses Ziel verfehlt die Regierung durch ihre eigenen Beschlüsse.
Die Versicherten muss das politische Geschrei also gar nicht kümmern, alles bleibt, wie es ist?
Ich fürchte nicht. Denn durch den Gesundheitsfonds wird eine Unterfinanzierung ins System eingebaut. Die Einheitspauschale aus dem Fonds an die Kassen wird nicht ausreichen, sodass schon mit Einführung des Fonds einige Kassen einen Sonderbeitrag erheben müssen.
Glauben Sie wirklich daran, dass der Fonds 2009 kommt?
Ich bin großer Hoffnung, dass er nicht kommt. Es sind schon viele Gesetze gemacht und dann einfach ignoriert worden.
INTERVIEW: ANNA LEHMANN