: Über Grenzen hinweg
Weil es billiger ist, Tiere in Polen oder Tschechien zu mästen, werden Kälber oder Ferkel tagelang quer durch Europa transportiert
BERLIN taz ■ Über 360 Millionen Tiere werden jedes Jahr quer durch Europa gefahren. Von den Transporten betroffen sind vor allem Rinder, Kälber und Schweine, aber auch Pferde, Esel, Hühner und Enten.Transportmittel sind Lkw, Bahn, Schiff und Flugzeug. Bei den Transporten stehen die Tiere unter enormem Stress und verlieren an Gewicht. Regelmäßig kommt es zu Verletzungen und Verstößen gegen die Regelungen der Europäischen Union.
Die EU-Verordnung erlaubt Transportzeiten von 19 Stunden für nicht entwöhnte Jungtiere und 29 Stunden für Rinder, Schafe und Ziegen. Erst nach dieser Zeitspanne muss eine 24-stündige Pause gemacht werden, in der die Tiere entladen und versorgt werden. Anschließend kann die Fahrt in diesen Zyklen endlos weitergehen. Häufig werden die Tiere tagelang quer durch Europa gekarrt. Immer wieder kommt es vor, dass sie ihr Ziel mit gebrochenen Beinen oder verdurstet erreichen.
Die Holländer züchten, die Dänen mästen, und geschlachtet wird in Italien. Die industrielle Massentierhaltung funktioniert nach dem Wirtschaftsprinzip der Kosten-Nutzen-Optimierung. Die Arbeitsschritte werden getrennt und in die jeweils kostengünstigsten Regionen und Ländern ausgelagert. So ist es beispielsweise preiswerter, die Tiere in Osteuropa zu mästen. Denn dort sind die Löhne und das Futter billiger, kritisiert Iris Baumgärtner vom Verein Animal Angels.
Aber auch die Agrarsubventionen der EU machen die Transporte zu einem lukrativen Geschäft. Brüssel unterstützte jahrelang vor allem große, auf Massenproduktion angelegte Betriebe. Die Folge war eine Überproduktion, die weit über den Bedarf der einzelnen Länder hinausgeht. Die Tiere, die in dem einen Land nicht verkauft werden können, werden in andere Staaten mit höherer Nachfrage transportiert. So produziere Dänemark sechsmal mehr Schweinefleisch, als es benötigt, und Irland siebenmal mehr Rindfleisch, als im Land verzehrt wird, so Iris Baumgärtner.
Ebenfalls mit EU-Geldern wurden Großschlachthöfe errichtet, die mit niedrigen Preisen locken. Kleine Betriebe sind so nicht mehr konkurrenzfähig und müssen schließen. Auch verschärfte Hygienevorschriften führen teilweise dazu, dass kleinere Schlachthöfe geschlossen werden. Die Konsequenz für die Tiere: längere Transportwege zu den Schlachthöfen.
Zwar subventioniert die EU nicht länger den Export von Schlachtvieh in Drittländer, wohl aber den von Zuchtrindern. Doch wie lange bleiben die Tiere Zuchttiere? „Sobald sie die EU verlassen, kann ihr Verbleib nicht mehr nachvollzogen werden“, kritisiert Baumgärtner. Nachforschungen hätten bestätigt, dass die Transporte oft falsch deklariert würden, um mehr Gewinn einzustreichen. Viele der „Zuchtrinder“ würden am Ziel geschlachtet.
„Wenn Fleisch, dann sollte es regional gezüchtet und geschlachtet werden“, so Baumgärtner. Eine andere mögliche Lösung sind mobile Schlachtanlagen. Diese in Norwegen bereits eingesetzte Technik ermöglicht die Schlachtung vor Ort. Das Tier kann dann tot zur Weiterverarbeitung transportiert werden.
MIRJAM NEEBE