AUSGEHEN UND RUMSTEHENDie Kiezbullen kennen sich aus, Besuch aus Ungarn sucht Freund
: Bezahlen für Gäste

Bereits am Freitag war klar, dass das mit dem Ausgehen und Rumstehen dieses Wochenende nichts werden würde. Wie auch, wenn einen von hinten ständig uniformierte Beamte weiter drängen. Da hilft auch kein Diskutieren, oder auf den Barkeeper Verweisen, denn die Polizei hat die härteste Türpolitik der Welt. Das Motto „In ist wer drin ist“ gilt hier nur begrenzt. Die Türsteher des öffentlichen Lebens sind eine der wenigen Gestalten in Berlin, bei denen man nicht auf der Gästeliste stehen möchte, auch ihr minimalistischer Sirenensound lässt zu wünschen übrig. Nur die ganz Progressiven fühlen sich zum Dancefloor hingezogen, wenn das blaue Stroboskoplicht die Nacht durchzuckt.

Die vom Staat bezahlten Türsteher sind nicht nur äußerst gestresst aufgrund der zeitraubenden Vorbereitungen auf ihr bald stattfindendes Großevent in der Liebigstraße 14 (the place to be am morgigen Mittwoch), es geht ihnen auch ein wenig die Puste aus. Aus ganz Deutschland haben sich deshalb 13 Hundertschaften angekündigt, der ein oder andere Bewohner des Hausprojekts verbarrikadiert sich bereits aus Angst vor den professionell ausgebildeten Krawalltouristen aus Bayern oder Thüringen.

Ironischerweise zahlen in diesem Fall nicht die Gäste, sondern der Veranstalter blecht. Kein Wunder, dass sich einige Geldgeber Sorgen über die entstehenden Partykosten machen. Wer für Gäste bezahlen muss, ist aber auch echt am Arsch. Rein partytechnisch betrachtet. Auch organisatorische Probleme müssen noch gelöst werden. Der Berlin-Cop kennt den Kiez wie seine schusssichere Westentasche, doch wohin schickt man den ungeliebten Besuch, wo hat er genügend „Streetcredibility“? All diese Ängste sind in den Augen der Beamten zu lesen, als ich auf dem Dorfplatz stehe. Die Demonstration ist gerade beendet, wegen der enormen Kälte haben sich viele der Anwesenden Tücher um den Kopf gewickelt, was den Sirenensound-DJs natürlich die obligatorische Gesichtskontrolle erschwert. Da plötzlich erscheint Ilja Richter vor dem geistigen Auge, er ruft: „Licht aus, Spot an“, die Kulisse gehorcht und in der Mitte der Tanzfläche steht ein schreiendes Ding, etwa 1,60 Meter klein, platinblond und ein Organ wie drei Marktschreier. Die Welt um sie herum steht still.

„Joooe!“, schreit sie immer wieder, wer ist dieser Joe und wer ist sie und warum hatte Joe anscheinend einen Gästelistenplatz im Gegensatz zu uns? Ich lade sie auf einen hippen Drink aus meiner Volvic-Flasche ein, sie wäscht sich das tränengasverseuchte Auge aus – was für ein Auftritt. Inzwischen erläutert sie, warum sie nach Joe sucht. Sie ist nämlich aus Ungarn und Joe ist ein Freund, ein „schwulischer“ Freund, bei dem sie heute schlafen wollte. Seine Nummer hat sie leider vergessen, wo er wohnt, weiß sie auch nicht, und jetzt ist er weg. Schlimmstenfalls ist er einfach ohne sie „rein-“gegangen. Kurz darauf greifen die Türsteher ein. Zu Zehnt werfen sie sich auf einen, der anscheinend ein VIP-Ticket hat, und zerren ihn in ihre Partywanne.

Die kleine Ungarin sprintet schreiend los, ich hinterher, Adel verpflichtet ja bekanntlich. Kurz vor dem Ziel zückt sie eine Bierflasche, mir rutscht durch den schnellen Lauf der Schal unvorteilhaft vor’s Gesicht, die Situation ist eindeutig: Wir wollen rein! Da erkennt sie in einem der ebenfalls Anstürmenden ihren Joe. Freudestrahlend rufen sie sich ihre Namen zu und umarmen sich während des Laufens, um wenige Sekunden später in einem letzten verzweifelten Akt gemeinsam in eine Gruppe von Türstehern zu hechten. Nun sind sie vereint und „drin“, wie einst die zwei Königskinder.