: Seminar für angewandte Unsicherheit
Wird Sicherheitswahn angewandt, wirkt dies auf Beobachtete immer verunsichernd. [SaU] klärt auf
■ Workshop:
„Überwachung im Web 2.0“
■ Wann?
Sa, 5. Februar | 14 Uhr
■ Wo?
BAIZ
Christinenstr. 1
Berlin-Mitte
■ Weitere Infos zu Stadtspaziergängen und anderen Aktionen im Netz unter www.unsicherheit.tk
„I always feel like / somebody’s watching me“ sang Rockwell 1984 gemeinsam mit Michael Jackson über seine paranoide Angst, ständig beobachtet zu werden. 2011 ist die permanente Beobachtung längst zur alltäglichen Realität geworden: Egal ob wir Google nach unserer Lieblingsautorin fragen, im Supermarkt um die Ecke mit der EC-Karte zahlen oder auf die S-Bahn warten – fast jede Bewegung wird erfasst und in irgendeiner Datenbank verarbeitet. Den alltäglichen Kontroll- und Überwachungsmechanismen ist in Berlin die Gruppe „Seminar für angewandte Unsicherheit“ [SaU] auf der Spur. „Es ist wichtig zu verstehen, was Überwachung meint und wo sie anfängt“, erklärte Fiona Flauderer, Mitglied beim [SaU].
In Reaktion auf die Sicherheitspakete der Bundesregierung nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon gründete sich das [SaU] Ende 2001. Wie Flauderer berichtet, habe die Gruppe die Überwachungsmaßnahmen des damaligen Innenministers Otto Schily (SPD) so „beängstigend“ gefunden, dass sie sich kurzerhand entschloss, „mit öffentlichen Aktionen und Veranstaltungsreihen bewusst Unsicherheit angesichts des Kontroll- und Überwachungswahns zu verbreiten“.
Zu den wichtigsten Aktionsformen des [SaU] zählen die regelmäßig organisierten Kiezspaziergänge. Seit 2001 ist die Gruppe in den Berliner Vierteln Mitte, Friedrichshain oder Neukölln unterwegs und erklärt Interessierten, inwieweit Überwachung mit Gentrifizierung und Kapitalismus zusammenhängt. Durch einen eigenen Empfänger werden die Daten umliegender Überwachungskameras auf einen kleinen tragbaren Fernseher übertragen – ein beängstigendes Gefühl ständiger Beobachtung wird greifbar. Den letzten Spaziergang durch den Neuköllner Schillerkiez Ende 2010 organisierte die Gruppe im Kontext der Diskussion um die Öffnung des Flughafens Tempelhof.
Dort sind die viel diskutierten Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse in vollem Gange und haben zu einer Reihe von Überwachungsmaßnahmen geführt. „Gentrifizierung bedeutet nicht nur das Anbringen von Kameras“, erklärte Fiona. Das Ganze sei viel komplexer, da es viele verschiedene Interessengruppen und AkteurInnen gibt. Während zu Beginn sicherheitspolitische Erwägungen bestimmend seien, rückten mit der Verdrängung der bisherigen zahlungsschwachen BewohnerInnen durch zahlungsstarke Bevölkerungsschichten Kapitalinteressen in den Vordergrund. Andere Kontrollmechanismen würden notwendig, um den höheren Lebensstandard der Neuen zu sichern. „Es wird also kontrolliert, wer im sich im Kiez bewegt – und es ist nicht mehr jeder hier erwünscht“.
Was das Ganze mit Kapitalismus zu tun hat, erläuterte Flauderer ebenfalls: Wohnraum wird im Kapitalismus zu einer Ware, die den Profit der HausbesitzerInnen sichert und maximiert. Diese Ware ist zunächst Eigentum der HausbesitzerInnen und wird als solches vor allem durch Gesetze und Polizei geschützt – und dieser Schutz wird praktisch unter anderem durch Überwachung durchgesetzt. Aber nicht nur das: Überwachungsmaßnahmen in den Vierteln stellen sicher, dass möglichst schrankenlos konsumiert werden kann und auch die Lohnarbeitenden kontrolliert und gegängelt werden: während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz und danach weiter in ihrer „Freizeit“. In den verschiedenen Phasen des Kapitalismus verändern sich auch die Formen der Überwachung und der Stadtstrukturierung.
In ihrer Veranstaltungsreihe „Der neue Mensch“ widmete sich [SaU] 2009 Themen wie der elektronischen Gesundheitskarte, biologischer Prävention im Strafrecht und dem Komplex Gesundheit/Migration/Krankheit/Tourismus.
Am 5. Februar bietet [SaU] einen Workshop zur Überwachung im Web 2.0 an. „Dabei geht es natürlich um die Zusammenhänge, in denen sie stattfindet, aber eben auch darum, Handlungsoptionen aufzuzeigen“, erklärte Flauderer. Im Workshop soll praktisch gezeigt werden wie leicht es ist, Daten miteinander zu verknüpfen und zu einem Bild zusammenzufügen. Aber auch wie man seine Spuren im Netz verringern und sein Profil sicherer machen kann.
Facebook und andere Social Networks sollen als neue Überwachungstechnologien, die den speziellen Anforderungen des neoliberalen Kapitalismus entsprechen, entlarvt werden.
Wer sich beim [SaU] engagieren und zum Beispiel Workshops mit organisieren möchte, kann sich einfach per Mail an die Gruppe wenden. „Vorkenntnisse sind nicht nötig“, erklärte Flauderer. Ansonsten findet sich auf der Homepage eine Karte, auf der die auf den Kiezspaziergängen ausgemachten Kameras verzeichnet sind. Wer im Supermarkt um die Ecke eine Kamera entdeckt hat, kann diese dem [SaU] melden. „We’re watching back!“ lautet das Motto. LUKAS DUBRO