Viel mehr als olle Kamelle?

In sechs Wochen haben die Narren und Närrinnen wieder die Straßen für sich. Alle Nicht-Jecken müssen zu Hause bleiben. Oder doch nicht? Gibt es echte Wahlmöglichkeiten zum Schenkel-Klopfer-Karneval, geistreiche Witze, politisches Kabarett? Gibt es den alternativen Karneval?

JA

Ich sage ja zu alternativen Karnevalssitzungen, weil ich beim Geierabend ja selber in so einer Veranstaltung mitwirke, diese Mitwirkung mir sehr viel Spaß bereitet und ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene.

Auch fällt positiv auf, dass nicht die Veranstaltungszeit mit dem Spielen von Tüschen vertan wird (wenn man davon ausgeht, dass in herkömmlichen 180-Minuten-Karnevalssitzungen pro Minute vier Tüsche à fünf Sekunden gegeben werden, ist die Summe der Tüsche 720. Das macht 3.600 Sekunden oder in Worten 60 Minuten). Da ich noch nie gehört oder gesehen habe, dass irgendjemand auf der Welt über einen Tusch gelacht hat, auch nicht in Amerika, bedeutet das in der Konsequenz : Auf bürgerlichen Karnevalssitzungen in Köln, Mainz, Düsseldorf oder sonst wo wird eine Stunde lang nicht gelacht!!! Das ist natürlich gut, wenn man nicht lachen will oder jetzt auch keinen Grund dazu hat.

Statt dessen konnte ich beobachten, wie erwachsene Männer und Frauen mit Hüten aus Pappmaché auf dem Kopf sich bei fast jedem fallenden Tusch unterschiedlichste Arten von Alkoholika in den selben geschüttet haben. Gut, das tun die Menschen beim Geierabend auch. Aber irgendwie lachen die dazwischen mehr. Und das ist mir sehr wichtig. Dass die sich nicht stumm besaufen, sondern mit Freude.

Was ich auch besonders loben möchte ist die Tatsache, dass, bei uns im Geierabend ist das jedenfalls so, die Möglichkeiten gegeben sind, witzige, skurrile, satirische, musikalische und künstlerische Szenen und Lieder zu spielen, ohne dass Frauen und Männer dabei sich entblößen und fremden Menschen ihre Haut zeigen müssen. Mit anderen Worten: wir können machen, was uns in den Sinn kommt. Und da der oberste Richter, das Publikum, genau weiß, wie sehr uns seine Meinung am Herzen liegt, dankt es uns damit, dass es all unsere Verrücktheiten freudig annimmt.

Im übrigen können wir durch den Geierabend hier in Dortmund beweisen, dass der Westfale an sich und in sich doch eine Stimmungskanone ist. Wenn er es auch nicht immer so direkt an die große Glocke hängt, wie jetzt zum Beispiel der Rheinländer, schmeißt er sich innerlich hin vor Lachen, wenn ihm ein Witz gefällt. Das kann keine besser beurteilen als ich. Schließlich stamme ich aus dem tiefsten Münsterland und ich war in meiner Teenagerzeit einmal bei einem Karnevalszug in Ahlen dabei. Da flogen aber die Bonbons nur so durch die Gegend und den Leuten an den Kopf. Damals habe ich die Bedeutung dieser Bonbonwegwerfaktion gar nicht verstanden. Heute weiß ich: Die Dinger haben das Verfallsdatum überschritten!

FRANZISKA MENSE-MORITZ

NEIN

Was haben ein vernunftbegabter Kölner Erzbischof, ein linksradikaler CDU-Ministerpräsident und ein vollbeschäftigtes Ruhrgebiet gemeinsam? Nun, ganz einfach: es gibt sie nicht! Man kann in schlaflosen Nächten von ihnen träumen, man kann sie auch beim Verblasen von Wimpern ganz fest herbeiwünschen, ja, man kann sie sogar in kühnen Zukunfts-Entwürfen herbei phantasieren, aber am Ende bleibt es dabei: es gibt sie nicht, es hat sie nie gegeben und es wird sie niemals geben. Das gleiche gilt für den „alternativen Karnevalisten“ und den von ihm angeblich praktizierten „alternativen Karneval“: alles Humbug, totaler Blödsinn oder – wie mein alter Freund Klaus Huber sagen würde – konjunktivistisches Gebrabbel.

Es gibt – zumindest in Köln – nur Karneval oder Karneval. Als am 26.Februar 1984 in der Kölner Studiobühne ein verwegener Haufen knatschverdötschter Sozialpädagogik-Studenten unter dem Vorsitz von Irokesen-Heinz die erste Stunksitzung ins vermeintlich alternative Leben rief, da hat es die Beteiligten schon am ersten Abend eiskalt erwischt: „Als Martina und Basti das Schunkelpotpourri anstimmten, das als Verarschung gemeint gewesen (!) war, und der ganze Saal zu schunkeln anfing, da standen wir alle hinterm Vorhang und haben gesagt: guck mal, guck mal, guck mal, die schunkeln!“

Tja, so sind sie eben die Jecken. Kaum hören sie einen Dreiviertel-Takt, gibt es nur noch eins: einhaken und schunkeln. Alaaf und Heidewitzka, Herr Metropolitän! Der Karneval hat seine eigenen Gesetze. Und eins davon lautet: entweder ganz oder gar nicht. Denn auch wenn die Pappe ökologisch abbaubar ist und die darunter steckende Nase sich bewusst gegen den Wind hält – Pappnase bleibt Pappnase. Und das wissen die Macher der Stunksitzung auch ganz genau. Selbst wenn ihre Arbeit nach wie vor im besten Sinne des links-alternativen Prinzips Basisdemokratie organisiert ist, was am Ende dabei rauskommt ist Karneval! Und das ist gut so!

Insofern ist diese mittlerweile in vielen Städten mehr schlecht als recht kopierte Prachtsitzung auch nie eine Alternative zum etablierten Karneval gewesen, sondern immer nur eine Ergänzung, ein zusätzliches Angebot. Und weil sie einfach viel besser gemacht ist als all die stinklangweiligen Damen-Herren- und sonstigen Kalkeimer-Sitzungen, deshalb hat sie sich inzwischen selbst etabliert und zwar als Kölns mit Abstand best besuchte und vor allem stimmungsvollste Karnevalsveranstaltung der Session. Fasteloovend vom Allerfeinsten. Die Alternative liegt irgendwo in Holland an der verregneten Nordsee.

WILFRIED SCHMICKLER