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Archiv-Artikel

„Reputation ist alles“

Terry Gilliam ist gerade in der Stadt. Monty Python! „Brazil“! Und immer noch kein „Don Quijotte“! Ein Gespräch mit dem Phantasten des Kinos über Pläne und Projekte und das Wort „bondable“

INTERVIEW BERT REBHANDL

taz: Herr Gilliam, Sie sind in Berlin, weil hier eine Retrospektive aller Ihrer Filme läuft. So auch Ihr jüngster, „Tideland“, nach einem Buch von Mitch Cullin, das in Deutschland wenig bekannt ist. Was hat Sie daran interessiert?

Terry Gilliam: Der Autor Mitch Cullin hat es mir geschickt, weil er ein Zitat für den Umschlag wollte. Es geht um ein Mädchen, das beide Eltern verliert und allein in einem abgelegenen Haus mit sinistren Nachbarn und ins Zeug schießenden Fantasien lebt. Die Stimme des Mädchens ist einmalig, sehr komisch, es gibt viele sehr bizarre, verstörende Situationen. Kinder werden heute überwiegend dazu verwendet, Nachrichten zu verkaufen, sie werden immer als Opfer dargestellt. Dabei sind sie doch darauf ausgerichtet zu überleben. Sie sind sind stark. Manche Leute reagieren darauf zornig.

Zornig?

Die Medien haben keine Zeit mehr für einen Blick in die Tiefe. Mein Film ist wie ein Test für die Öffentlichkeit. Das Publikum reagiert sehr positiv, die Kritiker aber fühlen sich abgestoßen. Meine Frau sagt, es ist ein vollständig unschuldiger Film, und das macht den Leuten zu schaffen, weil sie Unschuld nicht mehr kennen. Das Bild eines jungen Mädchens mit einer Heroinnadel in der Hand ist natürlich anstößig, aber es erzählt von seiner Beziehung zu seinem Vater.

Die Eltern kommen schlecht weg. In Deutschland würden sie glatt in das Bashing der Generation von 1968 passen.

Sie stehen für das Ende einer Generation. Sie waren Hedonisten, selbstsüchtig, selbstbezogen, sie wussten nicht recht, wie sie mit ihrem Kind umgehen sollten. Die Tochter ist ein Produkt des Fernsehens, sie inszeniert ihre eigenen kleinen Seifenopern. Für ein Kind ist es hart, die Welt mit einiger Klarheit zu sehen. Zumindest liest sie. Es ist wie in „Hänsel und Gretel“, die werden auch von den Eltern weggeschickt.

Stimmt es, dass Sie „Tideland“ ursprünglich nur als ein Zwischenprojekt während der langwierigen Arbeit an Ihrem „Don Quijotte“ erachteten?

Das stimmt, aber bald darauf wurde klar, dass „Don Quijotte“ in der ursprünglichen Form nichts werden wird. Ich mache jetzt aber den nächsten Versuch. Wir werden demnächst das Drehbuch zurückbekommen. Es hängt jetzt vor allem von Johnny Depp ab, ich hoffe, er hat nicht zu viele Angebote angenommen.

Warum sind Sie da so hartnäckig?

Weil mir jeder sagt: Vergiss es, mach was Neues, schau nach vorne. Deswegen kann ich nicht aufgeben. Wenn man sich auf Don Quijotte einlässt, dann wird man Don Quijotte. Die Situation ist natürlich ein wenig einschüchternd. Nachdem die Dokumentation „Lost in La Mancha“ draußen ist, haben viele Leute eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie der Film aussehen sollte. Ich habe aber ein paar neue Ideen, und ich sehe inzwischen auch ein, dass das alte Projekt wohl zu lang geworden wäre.

In „Lost in La Mancha“ gibt es eine tolle Szene, in der Sie Investoren empfangen.

Deutsche Zahnärzte! Das war ein übler Tag. Der Termin war lange geplant gewesen, und am Tag davor stand de facto fest, dass „Don Quijotte“ nichts werden würde. Ich war deprimiert, es war vorbei. Die gute Sache ist, dass sie das Geld dann in einen anderen Film gesteckt haben, der es auch wert ist: „Laissez-passer“ von Bertrand Tavernier. Da geht es um das französische Kino unter der deutschen Besatzung.

Sie haben eine ambivalente Reputation: Der größte Phantast des gegenwärtigen Kinos, aber auch kommerziell unberechenbar.

Reputation ist alles. Und die hängt meistens nur vom letzten Film ab. Wenn man von „Münchhausen“ absieht, haben alle meine Filme ihr Geld wieder eingespielt. Im Grunde bin ich also ein kommerzieller Filmemacher. Bei „Brazil“ hatte ich eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Studio, und ich habe gewonnen. Bei „Münchhausen“ hat sich dann das System an mir gerächt, wie bei Orson Welles und „The Magnificent Ambersons“. Das Wort, des wirklich zählt, ist bondable: ob die Versicherungen bei deinem Namen unterschreiben. Und ich bin bondable. Nächsten Monat komme ich zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder nach Hollywood, wir werden sehen, was dann rauskommt.

Wie zufrieden sind Sie im Rückblick mit „The Brothers Grimm“?

Da hatte ich Final Cut. Wir haben das Drehbuch noch während des Drehens umgearbeitet. Die Probleme hatte ich während der Vorbereitung mit den Brüdern Weinstein, das hat mir einfach den Spaß an diesem Projekt etwas vergällt. Ich glaube, ich habe immer noch einen guten Job gemacht, aber ich lese jetzt oft, er wäre „enttäuschend“ (lacht).

Bei „Twelve Monkeys“ waren Sie anfangs nicht die treibende Kraft.

Die Produzenten haben sich entschieden, dieses Projekt zu machen. Sie kauften die Rechte an „La Jetée« [ein Kurzfilm, auf dem „Twelve Monkeys“ basiert, d. Red] von Chris Marker. Ich traf ihn später bei diesem Festival in Finnland, das Aki Kaurismäki ausrichtet. Da hatte ich ein Frühstück mit ihm. Eine beeindruckende Persönlichkeit, sieht aus wie ein Fremdenlegionär, sehr groß, sehr fit, ganz ruhig, aber in Wahrheit sehr komisch. Ich habe „La Jetée“ erst gesehen, als er bei der Premiere von „Twelve Monkeys“ als Vorfilm lief.

Können Sie uns vielleicht eine definitive Version von Ihrer Begegnung mit John Cleese geben, die Sie Ende der Sechzigerjahre zu Monty Python brachte?

Ich war in New York und machte ein Magazin namens Help! Das kam aus dem Umfeld der Leute, die auch MAD machten. Wir machten diese Comicstrips mit Fotos und hatten eine Geschichte über einen Mann, der sich in die Barbiepuppe seiner Tochter verliebt. Unsere Darsteller bekamen 15 Dollar am Tag, und für diese Geschichte verpflichteten wir einen Engländer namens John Cleese. Wir freundeten uns an, und als ich später nach London ging, weil ich die Arbeit bei der Zeitschrift satt hatte, führte eins zum anderen.

Gibt es ein ausstehendes Lieblingsprojekt, außer dem „Don Quijotte“?

Ja. Die Geschichte vom Minotaurus. Es gibt da ein Bild in der Tate Gallery von einem Maler namens Watts. Es zeigt einen Minotaur, also eine Kreatur mit Stierkopf und einem Menschenkörper. Er sieht sehr verloren aus, in der Hand hält er einen Vogel, den er zerquetscht hat, ohne dass er es überhaupt merkte. Davon möchte ich ausgehen. Ich mag einfach figurative Malerei.