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Archiv-Artikel

Neue APO in der Normannenstraße

In Lichtenberg gründeten Eltern den ersten Runden Schultisch. Damit wollen sie Schulumzüge verhindern, kleinere Klassen und jüngere Lehrer einfordern. Viele Beteiligte haben bereits Erfahrung mit Protesten und Bürgerbegehren

Unterrichtsausfall und Lehrermangel, zu große Klassenstärken, Schulschließungen, überalterte Lehrerkollegien und Umzüge von Schulen in neue Gebäude – das wollen viele Lichtenberger Eltern nicht mehr hinnehmen. Rund 40 Eltern, eine Lehrerin und zwei Schüler gründeten deshalb am Wochenende den ersten Berliner Runden Schultisch. Der versteht sich nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Gremien Bezirkselternausschuss und Bezirksschulbeirat, sondern als Ergänzung.

„Denn diese Gremien haben gesetzlich genau definierte Aufgaben“, erläutert Initiator Peter March. Ein Bürgerbegehren initiieren, zu einer Demo aufrufen oder eine Unterschriftensammlung organisieren, das könne ein runder Tisch einfach besser, meinte seine Kollegin Inis Schönfelder, der diese Gremien in Lichtenberg zudem als „zahnlose Tiger“ und „PDS-lastig“ vorkommen. „Dann sind wir eben die APO.“

Der „runde“ Tisch besteht aus drei rechteckigen Möbeln und steht in der Stasi-Gedenkstätte in der Normannenstraße, genau ein Stockwerk über Büro und Privaträumen von Stasi-Minister Erich Mielke, die heute besichtigt werden können. Und angeregt durch den Tagungsort, atmete die Veranstaltung viel von der Spontanität der Wendezeit. „Mit den Gesetzen will ich mich gar nicht beschäftigen“, ereiferte sich etwa ein aufgebrachter Vater. „Ich zahle Steuern und Sozialabgaben und klage die Bildung für meinen Sohn ein, die ihm zusteht.“ In der DDR habe er eine Arbeitsgemeinschaft Rockmusik mitgegründet und damals auch nicht nach den Gesetzen gefragt. „Habe ich mich dieser Gefahr ausgesetzt, damit mein Sohn heute so schlechte Lernvoraussetzungen vorfindet?“

Andere Eltern interessierten sich durchaus für den gesetzlichen Rahmen der Schulpolitik. Sie wollten etwa wissen, ob die in ihren Augen zu großen Klassenstärken – ein Ärgernis, das der Runde Tisch beseitigen will – gesetzlich so vorgeschrieben seien oder ob die Behörden da Spielraum hätten. Klar war ihnen, dass es dabei nicht im Bezirk, sondern auf Landesebene klemmt. Doch weil vieles unklar blieb, will der Runde Tisch zu seiner nächsten Zusammenkunft dazu einen Experten einladen. Einer aus der Verwaltung soll es sein. Dass nicht die, sondern das Abgeordnetenhaus in Berlin Gesetze macht, war vielen Diskutanten nicht ganz klar. Aber macht ja nichts, runde Tische haben durchaus eine Tradition als Schulen der Demokratie.

Das zweite Ärgernis der Eltern geht auf den Bezirk zurück: Lichtenberg sucht derzeit einen Standort für eine Schule für geistig behinderte Schüler. Doch den sucht der Bezirk unter vorhandenen Schulen. „Da prüft das Amt gerade völlig konzeptionslos, welche intakte Schule umziehen muss, um Platz für diese Schule zu machen“, ereifert sich etwa Peter March. „Doch unsere Kinder brauchen nicht alle drei Monate einen neuen Fusions-, Umzugs- oder Bildungsplan, sondern die Sicherheit, in Ruhe zu lernen, zu experimentieren, sich zu bilden und ihre Kreativität zu entfalten.“ Deshalb wollen sich die Eltern selbst gemeinsam mit der betroffenen Schule auf die Suche nach einem neuen Lernort für die geistig behinderten Schüler machen. Sie suchen unter bereits aufgegebenen, gut sanierten Schulstandorten, die es in Lichtenberg reichlich gibt.

Fast die Hälfte der Eltern hat Erfahrung darin, wie man einen Schulumzug verhindert. Sie kennen sich aus der Elternvertretung des Karlshorster Coppi-Gymnasiums. Die Schule sollte nach dem Willen des Bezirkes mit dem Kant-Gymnasium fusionieren und in das Gebäude einer dritten Schule ziehen. Durch den ersten Bürgerentscheid auf Bezirksebene am 17. September wurde dieses Umzugskarussell verhindert.

Ein weiteres Ärgernis sind den Eltern die überalterten Lehrerkollegien in dem Ostbezirk. Weil in Lichtenberg die Schülerzahlen stark sinken, müssen viele Lehrer den Bezirk verlassen. Das geschieht nach einer Sozialauswahl: Im Bezirk bleiben überwiegend Lehrer, die schon kurz vor der Rente stehen. „Wir wissen alle, dass altersmäßig gemischte Kollegien günstiger sind“, sagte Mitinitiator Jacek Gredka. Die Sozialauswahl müsse deshalb auch auf den Prüfstand. Marina Mai