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Archiv-Artikel

„Was ist Verrat?“

AUSSTELLUNG thealit Frauen.Kultur.Labor zeigt Verrat als Kulturtechnik der Revolution und Niedertracht

Von JPB
Claudia Reiche,

■ 49, ist Medienwissenschaftlerin, Künstlerin und mit Andrea Sick Kuratorin und Geschäftsführerin von thealit.

taz: Frau Reiche, wen haben Sie zuletzt verraten?

Claudia Reiche: Möchten Sie jetzt ein Beispiel hören?

Na klar!

Mein erster Verrat hat mich geprägt: In der Grundschule saß neben mir ein Junge auf der Bank. Auf dem Schulhof wurde er von einer Gruppe von Kindern als „Blödmann“ beschimpft und mit Steinchen beworfen. Ich habe mitgemacht und ihn verraten. Nun schäme ich ich dafür.

Geht Verrat immer auf Kosten anderer?

Er kann auch helfen, mit dem Stillhalten aufzuhören und eine unerträgliche Situation zu verändern.

Er ist also revolutionär?

Das liegt schon im juristisch wichtigsten Sinne, im Hochverrat.

Verrat liegt gerade im Trend.

Es wird mehr denn je verraten. Man stellt Intimitäten ins Netzt, über Facebook. Verrat ist heute unwirklich geworden. In meiner Generation ging es noch stark um moralische Fragen.

Inwiefern?

Verrät man die Freiheit oder verrät man ein unterdrückendes System? Es kann hervorragend sein, wenn man einen doofen Arbeitsvertrag hat, den man aufkündigt. Anders ist es, wenn man zum eigenen Vorteil eine Freundin verrät.

Muss ich immer loyal sein?

Loyal ist man gegenüber Leuten, von denen man abhängig ist. Loyalität wird heutzutage oft verwendet und positiv gesehen. Sie ersetzt Solidarität, die eher politisch ist.

Wenn ich mir die Freiheit nähme, Ihre Antworten zu verdrehen, wäre das Verrat?

Das ist ein unausweichlicher Verrat. Sie werden gar nicht anders können. Überraschen Sie mich.

Sie vertrauen mir?

Ja, ich vertraue Ihnen. Glauben Sie mir?

Ja. JPB

Eröffnung: 19 h, Vor d. Steintor 136