: „Holocaust-Leugnen ist nicht“
Der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin plädiert dafür, Eltern zu erlauben, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Im Interview erklärt er, warum das nicht religiösen Spinnern zuarbeitet
Interview: Eiken Bruhn
taz: Herr Ladenthin, Sie sind der Ansicht, dass die Schulpflicht gelockert werden sollte und Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten dürfen. Auch wenn dahinter weltanschauliche oder religiöse Motive stehen?
Volker Ladenthin, Pädagogik-Professor: Ja, das könnte genauso eine Begründung sein wie wenn Eltern ihr Kind wegen einer Behinderung oder besonderen Leistungen lieber zu Hause unterrichten wollen – was bis zur siebten, achten Klasse auch ohne Lehrer-Ausbildung möglich ist.
Haben Sie keine Sorge, dass die Kinder dann lernen, dass die Evolutionstheorie Blödsinn ist oder der Holocaust nie stattgefunden hat?
Nein, die Eltern dürften sich nicht ausdenken, was ihre Kinder lernen sollen, sondern müssten sich an dieselben Bildungspläne halten wie die Lehrer in der Schule. Wobei man in Fächern, in denen wertende Aspekte eine größere Rolle spielen als beispielsweise in der Mathematik oder Sprachen, auch parallele Deutungen zulassen muss.
Zum Beispiel, dass wir nicht vom Affen abstammen?
Nein, es geht nicht darum Fakten zu verschweigen oder zu verdrehen, sondern verschiedene Bewertungen nebeneinander stehen zu lassen. Für eine katholische Privatschule bedeutet das beispielsweise, dass sie trotz des Verhütungsverbots erklärt, wie die Pille funktioniert.
Wie will man kontrollieren, ob Eltern sich daran halten?
Über halbjährliche oder jährliche Leistungsprüfungen.
Und wenn die Kinder durchfallen – immer wieder?
Dann passiert dasselbe wie in der Schule auch. Sie müssten Inhalte wiederholen und schaffen im Zweifelsfall den Abschluss nicht. Sie können aber davon ausgehen, dass die allermeisten Eltern für ihre Kinder die besten Voraussetzungen wollen, damit diese später auf dem Arbeitsmarkt nicht schlechter gestellt sind als andere. Viele von denen, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, tun das nicht, um ihren Kindern etwas vorzuenthalten, sondern um ihnen mehr zu bieten, etwa Musikunterricht.
Und wenn gute Noten den Eltern egal sind?
Das ist ein Problem, das wir bereits jetzt kaum lösen können. Es gibt heute schon Eltern, die ihren Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen und nicht dafür sorgen, dass sie einen guten Abschluss bekommen können. Und wir haben Familien, die ihre Kinder von der Gesellschaft und ihren Werten abschotten, denken Sie an die Zeugen Jehovas.
Aber müsste der Staat in diesen Fällen nicht seiner Fürsorgepflicht nachkommen und die Kinder der Schule zuführen – im Zweifelsfall unter Entziehung des Sorgerechts?
Natürlich muss der Staat eingreifen, wenn ein Kind gefährdet ist, aber das sind Einzelfall-Entscheidungen und eine Frage der Definition. Müsste er nicht auch tätig werden, wenn ein Kind den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzt? Es gibt immer die Abwägung zwischen Überversorgung – also wenn sich der Staat in alles einmischt – und Unterversorgung – wenn er zu wenig tut.