Gesicht zeigen darf Pflicht sein

BURKA Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält das französische Vollverschleierungsverbot für „verhältnismäßig“

■ Was ist eine Burka? Die Burka ist ein weites, sackartiges Gewand, das über den Kopf gezogen wird und die Frau bis zu den Zehenspitzen komplett verhüllt. Die Augen sind hinter einem feinmaschigen Gitter versteckt. Der Ganzkörperschleier ist die strengste Form der Verhüllung des weiblichen Körpers im Islam. Die verschiedenen Formen des Ganzkörperschleiers werden vor allem in den Staaten der Arabischen Halbinsel und in Afghanistan getragen, aber auch in Ägypten und Syrien.

■ Was ist keine Burka? Der arabische Nikab ist ein Gesichtsschleier, der zu einem langen Gewand plus Kopftuch getragen wird. Der Nikab bedeckt das ganze Gesicht. Er ist meist schwarz und lässt nur einen kleinen Sehschlitz frei. Ein Tschador ist ein dunkles Tuch, das als Umhang um Kopf und Körper getragen wird. Das Gesicht bleibt dabei frei.

■ Was schreibt der Islam vor? Im Koran wird die Verhüllung des weiblichen Gesichts nicht ausdrücklich gefordert. Verse über die Bedeckung des weiblichen Körpers werden von den Anhängern der verschiedenen Rechtsschulen des Islam zudem sehr unterschiedlich interpretiert. Eine der Hauptquellen für die Verschleierung der Frauen ist die Koransure 33. Dort heißt es: „Oh Prophet! Sage deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Dschilbabs über sich ziehen.“ Was genau im Koran mit Dschilbab gemeint ist, ist umstritten. (dpa, afp)

VON CHRISTIAN RATH

FREIBURG taz | Das französische Burka-Verbot verstößt nicht gegen die europäischen Menschenrechte. Eine französische Burkaträgerin scheiterte jetzt mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Der „Respekt für die Bedingungen des Zusammenlebens“ sei ein legitimes Ziel für ein derartiges Verbot, urteilten die Richter.

Seit 2011 ist es in Frankreich untersagt, in der Öffentlichkeit Kleidungsstücke zu tragen, die das Gesicht verhüllen. Gemeint sind damit zum Beispiel die in Afghanistan üblichen Burkas, bei denen auf Augenhöhe ein Stoffgitter sitzt, oder der aus Saudi-Arabien stammende Niqab, der für die Augen einen Schlitz freilässt. Ausnahmeregelungen gibt es für Motorradhelme und Karnevalsmasken.

Betroffen sind von dem Verbot allerdings nur rund zwei- bis viertausend Frauen in Frankreich, die einen Vollschleier tragen. Das normale Kopftuch ist nicht verboten, weil das Gesicht weiter zu sehen ist. Wer gegen das Gesetz verstößt, muss 150 Euro Bußgeld bezahlen oder einen Staatsbürgerkurs besuchen.

Gegen das Gesetz hat eine 1990 geborene Juristin geklagt. Sie ist Muslimin und französische Staatsbürgerin mit pakistanischem Hintergrund. Sie betonte, dass niemand sie zwinge, sich zu verhüllen. Sie mache es auch nicht systematisch, sondern nur, wenn ihr danach sei. Sie war zwar noch nicht bestraft worden, musste aber damit rechnen.

Der Straßburger Gerichtshof entschied nun, dass das französische Burka-Verbot weder gegen die Religionsfreiheit noch gegen das Recht auf ein selbstbestimmtes Privatleben verstößt.

Allerdings akzeptierten die Richter nicht alle von der französischen Regierung vorgetragenen Begründungen. So könne das Burka-Verbot nicht mit der „öffentlichen Sicherheit“ begründet werden. Dies wäre nur bei einer angespannten Sicherheitslage, aber nicht generell möglich. Auch den „Respekt für die Gleichberechtigung der Geschlechter“ und die „menschliche Würde“ ließen die Richter nicht als Begründung gelten.

Allein der „Respekt für die Minimalbedingungen des sozialen Lebens“ rechtfertige ein Burka-Verbot im öffentlichen Raum. Schließlich spiele das Gesicht eine bedeutende Rolle in der sozialen Interaktion. Wer sein Gesicht nicht zeige, verletze damit das Recht anderer, in einem gesellschaftlichen Raum zu leben, der das Zusammenleben erleichtert, so die etwas kryptische Argumentation der Richter.

Der EGMR räumt ein, dass das französische Burka-Verbot angesichts der geringen Zahl der Burka-Trägerinnen „exzessiv“ erscheinen mag und teilweise von islamfeindlichen Haltungen genährt wurde.

Die Richter hielten das Verbot dennoch mehrheitlich für „verhältnismäßig“, da das Verbot nicht auf religiöse Kleidung abziele, sondern nur auf Kleidungstücke, die das Gesicht verhüllen. Außerdem seien die drohenden Strafen sehr milde.

Die Richter räumen ein, dass das französische Burka-Verbot angesichts der geringen Zahl der Burka-Trägerinnen „exzessiv“ erscheinen mag

Gegen das Urteil sind keine Rechtsmittel mehr möglich. Wegen der offensichtlich schwierigen Rechtsfragen hatte sofort die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer des EGMR den Fall übernommen.

Ähnliche Burka-Verbote wie in Frankreich gibt es auch in Belgien, den Niederlanden, im Schweizer Tessin und in Barcelona. Wer dort betroffen ist, kann sich nun also den Weg nach Straßburg sparen.

Eine Pflicht zur Einführung eines Burka-Verbots besteht freilich auch nicht. Die 47 Mitgliedstaaten des Europarats – von Russland bis zur Schweiz – hätten deshalb großen Gestaltungsspielraum, so der EGMR.

Das Urteil hat also keine Auswirkungen auf Deutschland, wo Burkas auf der Straße bisher erlaubt sind. In einigen Bundesländern sind allerdings Kopftücher und andere religiöse Kleidungsstücke im öffentlichen Dienst verboten. (Az.: 43835/11125 z 2/2)