Meisters Lehrjahr

Der FC Chelsea unter Trainer José Mourinho hat seine dominante Stellung in der Premier League verloren. Daran ist auch Mittelfeldakteur Michael Ballack schuld. Ist der Deutsche noch zu retten?

„Wenn Ballack mal ins Spiel eingriff, dann negativ“

VON MARKUS VÖLKER

Endlich ein Spiel, das keine Probleme schafft, das dürfte sich Trainer José Mourinho vor dem heutigen Match im League Cup gegen Wycombe sagen. Ein Sieg gilt als sicher und die Fragen der Boulevardreporter dürften weniger penetrant ausfallen als in den vergangenen Tagen. Der FC Chelsea steckt ja in einer kleinen Krise, die englische Presse ist auf der ständigen Suche nach Symptomen der Verschlechterung.

Fakt ist, dass der Londoner Großklub in der Premier League sechs Punkte hinter Manchester United liegt; vor einem Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt noch elf Punkte Vorsprung. Chelsea hat in den vergangenen drei Partien dreimal Unentschieden gespielt. Das ist eine mittlere Katastrophe für den ambitionierten Mourinho, zumal zwei Heimspiele gegen Reading und den FC Fulham darunter waren, gegen Teams der unteren Kategorie. Der Portugiese, ohnehin wenig beliebt auf der Insel, musste sich in diesen Tagen viel anhören. Der Guardian bezeichnete Chelseas Transferpolitik als erratisch, sein Wunschspieler Michael Ballack wurde scharf kritisiert – und Mourinho selbst ist nach dem Remis-Triple offenbar in eine Neujahrsdepression verfallen. In einem Moment der Verzagtheit sagte er: „Wir können nicht verteidigen, wir kassieren unglaubliche Tore und im Angriff haben wir nur einen einzigen Spieler.“ Die Verteidigung hat also Lücken, vorn ist lediglich Didier Drogba in verlässlicher Form, die Außenstürmer Joe Cole und Arjen Robben sind verletzt, wie auch der holländische Abwehrschrat Khalid Boulahrouz. Wie schlimm steht es wirklich um den Meister?

Der FC Chelsea, das hybride Fußballunternehmen des schwerreichen Russen Roman Abramowitsch, hat in den vergangenen zwei Jahren locker und leicht die englische Meisterschaft gewonnen. Gegen das 4-3-3-System Mourinhos und die taktische Strenge des Meisters war kein Kraut gewachsen. Es schien nur eine Formalie zu sein, dass der FC Chelsea auch in dieser Saison triumphiert und zum dritten Mal hintereinander den Titel holt, was in England nur Huddersfield (1924–1926), dem FC Arsenal (1933–1935), FC Liverpool (1982–1984) und Manchester United (1999–2001) gelungen ist.

Und hatte Chelsea im Sommer nicht großartig eingekauft, Andrej Schewtschenko für fünfzig Millionen, Shaun Wright-Phillips für 31,5, Boulahrouz für 13 und Ashley Cole für 7,5 plus William Gallas als Dreingabe? War nicht Ballack an die Stamford Bridge gewechselt, dessen Ankunft euphorisch bejubelt wurde? Sollte das neue, um Ballack herum arrangierte 4-2-2-System nicht Wunder wirken?

Nun ja, das neue System funktioniert nicht schlecht, aber zu einem Topteam wurde Chelsea meist erst in Halbzeit zwei, wenn Mourinho die Rückkehr zum 4-3-3-System befahl und der müde Gegner mit einem Angriffswirbel schier überrumpelt wurde. Nun muss Mourinho sich mit banaleren Dingen herumschlagen, einer inferioren Defensive und der Ballack-Schelte zum Beispiel.

Wurde der Deutsche anfangs noch in den höchsten Tönen gelobt, wurde ihm zugetraut, innerhalb kürzester Zeit Frank Lampard im Mittelfeld das Wasser abzugraben, so muss sich der 30-Jährige nun einiges gefallen lassen. Das Spiel auf der Insel sei zu schnell für ihn, er agiere lethargisch und ohne Esprit.

Der Guardian schrieb, er solle sich schämen für manch verfehlten Auftritt. Die Sun lästerte, Ballack würde immer im Weg stehen. Der Daily Mirror meinte: „Wenn Ballack mal ins Spielgeschehen eingriff, dann negativ.“ So geht das nun schon seit Wochen. Macht Ballack ein gutes Spiel, schießt er ein Tor (vier hat er insgesamt schon erzielt), verstummen die Kritiker, um dann beim nächsten mediokren Match umso heftiger über ihn herzufallen. Gewisse Blätter wollen jetzt auch ein Rebellion in der Mannschaft gegen Michael Ballack bemerkt haben.

Der Sachse sagt dazu: Er werde sich nicht verrückt machen lassen, die englische Presse sei nun mal aggressiv. Das mag sein. Doch je mehr Mourinho im Fokus der Kritik steht und über seinen Weggang nach Italien spekuliert wird, desto mehr ist auch Ballack in der Schusslinie, Mourinhos muckerndes Mastermind im Mittelfeld.