ARNO FRANK ÜBER GERÄUSCHEKATHOLISCHES KLANGMANAGEMENT IN DER KRISE : Licht an, Licht aus
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Uff, das war knapp. Um ein Haar wäre ich, gottlos, wie ich bin, religiös geworden. Es geschah ganz unvermittelt um Weihnachten herum, als ich abends auf dem erzkatholischen Land fröstelnd draußen vor der Haustüre rauchte. Die grauglänzenden Schieferdächer des schweigenden Dörfchens wurden, wie üblich, allesamt um Längen überragt von einem nachhaltig erigierten Kirchturm. Seine Schindeln und barocken Rundungen waren hübsch ausgeleuchtet, und in den Lichtkegeln der Scheinwerfer wirbelten Myriaden Schneeflocken in fast bildschirmschonenden Spiralen. Eben wollte sich mir einer der üblichen atheistischen Gedanken aufdrängen, etwa wie dreist und anmaßend und imperial eine solche Architektur inmitten eines ansonsten eher geduckten Ensembles und so weiter … da zerschmetterte ein gewaltiges Läuten die Stille.
Es war, als bebte die Luft. Es klang, als würden die Glocken dort oben ganz plötzlich eine über Wochen aufgestaute Botschaft loswerden wollen, loswerden //müssen//, als bräche die Seligkeit nur so aus ihnen heraus. Volltönend, kompakt und wuchtig. Es schien, als wollte das heilige Gebimmel im illuminierten Schneetreiben gar kein Ende nehmen. Es währte erst eine, dann zwei, vier, acht Minuten, und bald hatte ich die Zeit vergessen. Durch seine schiere Dauer und pure Lautstärke hatte das Geläut sich in etwas //anderes//, in etwas Beseeltes verwandelt, in ein euphorisches Geheul.
Und dann ging das Licht aus.
Ich weiß nicht, ob das so gedacht war, aber um zehn Uhr erlosch mit den Kirchen-Flutlichtern das Licht im ganzen Dorf. Damit war der Kirchturm als Geräuschquelle schlagartig verschwunden, und der Effekt war erstaunlich. Da war nun nur noch der tintenschwarze Himmel, und der war voller akustischer Schwingungen, körperlos und doch gegenwärtig. Heilig, heilig, dachte ich schaudernd, überwältigt, wo doch Überwältigung die eigentliche Kernkompetenz des Katholizismus ist. Das Licht muss ausgehen, nicht an.
Dass ich dann aber doch nicht religiös geworden bin, habe ich meinem Kollegen Ringel zu verdanken. Feixend wies er mich auf einen extrafiesen Ohrwurm hin, den ein paar vorderhand „sangesfreudige“, tatsächlich aber völlig durchgeknallte Gottesmänner aufgenommen haben. Diese akustische Tretmine namens „Denken, was niemand vorher gedacht“ wirkt als zuverlässiges Antidot gegen jedwede religiöse Anwandlung. In Begleitung eines Kinderchors (!) tremolieren sich hier fünf ausgewachsene Bischöfe durch ein Stück verlogenen Sakralpop, das sich gewaschen hat. Kinder bekommen das als Mini-CD zur Firmung geschenkt, und man glaubt es nicht, wenn man diese verschwiemelte Ranschmeiße nicht selbst gehört hat. Oda-Gebbine Holze-Stäblein hat schon recht: „Solange die Glocken läuten, ist mindestens noch nicht alles verloren“. Ein kräftiger Tritt sollte genügen.
Text: „Was befleckt ist, wasche rein / Dürrem gieße Leben ein“ (Bonifatiuswerk)
Musik: http://www.domradio.de/website/audioPlayer.asp?audioID=25805