piwik no script img

Archiv-Artikel

„Teilweise stinkt es nach faulen Eiern“

Weil der Wasserverbrauch sinkt, nimmt der Gestank aus der Kanalisation zu, sagt der Abwasserforscher Matthias Barjenbruch. Nach Regengüssen fließt dennoch viel ungeklärt in die Spree. Das will er nun in schwimmenden Tanks zwischenspeichern

Interview GITTE DIENER

taz: Herr Barjenbruch, Sie erforschen das Phänomen des Kanalgeruchs. Haben Sie in Berlin schon mal an Gullys geschnuppert?

Matthias Barjenbruch: Ja, an einigen Stellen.

Und?

Teilweise riecht es durchaus frisch, an einigen Orten stinkt es auch nach faulen Eiern.

Warum riecht es ab und zu streng aus dem Gully?

In Berliner Kanälen fließt immer weniger Abwasser. Industrie mit hohem Wasserverbrauch gibt es viel weniger als früher, die Bevölkerungszahl ist leicht zurückgegangen. Und die Menschen sparen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Trinkwasser, auch weil Haushaltsgeräte, etwa Waschmaschinen, weniger verbrauchen. Natürlich ist das positiv, es führt aber auch dazu, dass das Abwasser länger in den Leitungen bleibt. Und dann setzen biologische Prozesse ein, die diese Gerüche und später auch Korrosion erzeugen.

Was im Sommer natürlich mehr auffällt.

Sicherlich. Die Mikroorganismen sind – wie auch wir Menschen – bei höheren Temperaturen aktiver. Außerdem ist man im Sommer öfter draußen – und nimmt das Problem eher wahr.

Gibt es Bezirke, in denen es besonders stark stinkt?

Nein, das kann man so nicht sagen. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: Ob das Wasser gepumpt wird, ob das Kanalsystem als Misch- oder Trennsystem ausgelegt ist. Im Mischsystem fließt Regenwasser in den Kanälen mit ab, spült also durch – im Trennsystem nicht.

Hat der Gestank zugenommen?

Ja, das ist so. Immer mehr Gemeinden wurden an das Berliner Kanalsystem angeschlossen. Die Folge: Die Aufenthaltszeiten werden länger.

Wie kann man das Problem lösen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ist ein Pumpwerk vorhanden, wo das Abwasser lange steht, könnte man zum Beispiel das Abpumpen anders organisieren. In anderen Netzen könnte man Chemikalien zudosieren, relativ harmlose wie Kalziumnitrat, um Faulprozesse zu verhindern. Oder Eisen, welches Geruchsstoffe, die sich bereits gebildet haben, bindet. Und natürlich ist auch möglich, kleinere Rohrleitungen zu bauen, falls die Bevölkerungszahl weiter rückläufig bleibt – was die teuerste Lösung ist.

Naturschützer kritisieren, dass nach starken Regenschauern immer wieder Schmutzwasser ungeklärt in die Spree fließt.

Das liegt an der Bauweise der Berliner Kanäle – so sind im Übrigen zirka 50 Prozent der Kanäle in Deutschland gebaut: In der Innenstadt fließen Schmutz- und Regenwasser in den gleichen Leitungen. Regnet es sehr stark, reichen diese nicht mehr aus. Bisher ist die Lösung, dieses Gemisch in die Spree zu leiten. Dies ist nur ab einer gewissen Verdünnung erlaubt. Aber die Umweltmaßstäbe haben sich in den letzten Jahrzehnten geändert, und unbedenklich ist nicht mehr unbedingt unbedenklich.

Sie möchten diesen Überlauf in riesigen Tanks auffangen. Wie muss man sich das vorstellen?

Ganz neu ist die Idee nicht. Bisher haben Abwasserbetriebe solche Speicherbecken mit Beton an einem festen Ort gebaut. Unser Projekt Spree 2011 untersucht Möglichkeiten, Speicher aus modernen Werkstoffen direkt im Gewässer anzuordnen. Die Plattform könnte man sogar nutzen, zum Beispiel für Cafés, einen Campingplatz oder ein Kino. Das Mischwasser flösse also nicht mehr in die Spree, sondern würde nach dem Regen aus den Tanks in die Kläranlage gepumpt.

Wo werden diese Speicher schwimmen?

Die Pilotanlage ist geplant im Osthafen. Wenn die Tests gut laufen, könnten die Berliner Wasserbetriebe sie auch an anderen Stellen einsetzen. Vorausgesetzt die Bedingungen stimmen, das Gewässer muss beispielsweise breit genug sein. Darüber hinaus ist eine weltweite Anwendung denkbar, denn Flüsse gibt es überall.

Die Berliner bezahlen die Abwasserentsorgung über Gebühren, die meistens mit der Miete einkassiert werden. Steigen durch solche ökologischen Ansätze die Gebühren?

Die Speicher aus modernen Werkstoffen sind günstiger als die konventionellen aus Beton. Ob eine Verteuerung wirklich nötig wäre, kann ich nicht beurteilen. Der Gesetzgeber schreibt außerdem die umweltfreundliche Entsorgung vor, das Umweltbundesamt formuliert gerade neue Richtlinien für die Regenwasserbehandlung. Wir müssen uns also zwangsläufig mit diesem Thema beschäftigen.