Kölner Totalverweigerer

Göttlich-bekloppt steht er sich selbst im Wege: Für „Brinkmanns Zorn“ hat der Regisseur Harald Bergmann alte Tonbandaufnahmen des Dichters Rolf-Dieter Brinkmann filmisch nachgebaut

VON FELIX KLOPOTEK

Größtmögliche Authentizität – das ist es, was Harald Bergmanns Film „Brinkmanns Zorn“ anstrebt. Das heißt: radikale, auf Identität zielende Anverwandlung an die darzustellende Person. Vermeidung jeder Distanz. Man könnte das als monomanischen Trip, als naturalistischen Kitsch abtun. Heißt denn nicht Darstellung immer auch, dass man sich zu der dargestellten Person in ein Verhältnis setzt? Ein Verhältnis, zu dem notwendig Distanzierung und Kontextualisierung gehören? Nicht wenn die Person Rolf-Dieter Brinkmann ist, jener Schriftsteller, der genau das überwinden wollte, der in seinem Schreiben absolute Hingabe und Direktheit verfolgte. Vor vierzig Jahren nannte man das Popliteratur, Brinkmann war der große Sensible unter den deutschen Literaten.

Harald Bergmann wendet einen einfachen, aber schwer zu realisierenden Trick an. Von Brinkmann existieren mehrere Stunden Tonbandmaterial, das er für den WDR, der 1973 eine Sendung zum Thema „Autorenalltag“ bei ihm in Auftrag gab, mit alltäglichen Beobachtungen und Gedanken füllte. Brinkmann, der die Literatur eigentlich aufgegeben hatte, lieber Collagen klebte und reichlich frustriert das ungeliebte Kölner Leben kommentierte, produziert Text nicht schreibend, sondern sprechend, unaufhörlich, ohne Punkt und Komma, alles um ihn herum aus ungebrochen subjektiver Haltung erlebend. Was wir im Film hören, sind diese Bänder. Wen wir sehen, ist der Schauspieler Eckhard Rohde, der lippensynchron zu Brinkmanns Kaskaden agiert. Zwar dürften die meisten Zuschauer nicht wissen, wie sich der wirkliche Brinkmann bewegt hat, aber die Körpersprache Rohdes geht so gut mit der Stimme zusammen, dass man geneigt ist zu glauben: So hat der Brinkmann also gelebt.

Wie hat er denn gelebt? Glaubt man dem Film (Warum auch nicht? Die Arbeitsweise Bergmanns ist ja geradezu wissenschaftlich akribisch): Verzweifelt. Denn er steht sich auf eine göttlich-bekloppte Art und Weise selbst im Weg, dass man das Band am liebsten stoppen möchte, um den Dichter zuzurufen: Halt doch mal inne! Die Wortmächtigkeit Brinkmanns ist beeindruckend, seine Auffassungsgabe erstaunlich, was er in Echtzeit erlebt, beschreibt und kommentiert, zeugt von einer Sprachsicherheit und Gestaltungskraft, wie es sie in der westdeutschen Literatur nicht allzu häufig gegeben hat. Aber anstatt dieses Talent als Ausgang zu nehmen, die Welt zu durchdringen, zu verstehen und eine Haltung zu ihr einzunehmen, die nicht bloß Zerstörungswut ist, steigert sich mit jeder Beschreibungskaskade nur sein Misstrauen gegen die Sprache: „Findest du es nicht lächerlich, deine Gedanken ausdrücken zu müssen durch Wörter?“, fragt er seine Frau. Hier spricht ein Autor, der permanent nichts anderes macht, und das auch noch recht virtuos. Kein Wunder, dass seine Frau Maleen genervt auf solche weltfernen Fragen reagiert. Kein Wunder, dass Brinkmanns Generalverdacht gegen die Sprache zunimmt, weil ihn niemand verstehen mag, er aber auch nicht verstanden wird: Trotz seiner Sprachkunst vermag er es kaum, zu seinem behinderten Sohn Robert vorzudringen.

Dann kommt die große Wut, die ziellosen Beschimpfungen, die bizarren Verwünschungen der Stadt („eine riesige Falle“), das menschenfeindliche Gehetze („mit der Brechstange reinschlagen, überall“). Für diese Wut findet Bergmann stille Bilder: Brinkmann wird auf sich selbst zurückgeworfen gezeigt. Wenn er grummelnd, fluchend, sich in imaginären Totalverweigerungsposen übend durch das nächtliche Köln streift, ist der Künstler kein Widerstandskämpfer, sondern eine arme Wurst.

Am Ende stirbt Brinkmann, er wird am 23. April 1975 in London überfahren (Linksverkehr!). Aber das ist schon nicht mehr so wichtig, denn eigentlich geht die Geschichte gut aus. In den Wochen vor seinem Tod schlägt er einen anderen Ton an: Nach fünf Jahren veröffentlicht er wieder ein Buch, den Gedichtband „Westwärts 1 & 2“, sein bestes Stück. Er erfährt Aufmerksamkeit, Anerkennung, wenige Tage vor seinem Tod hält er in Cambridge eine gefeierte Lesung. Brinkmann ist zurück in der Welt.

„Brinkmanns Zorn“. Regie: Harald Bergmann. Mit Eckhard Rhode, Alexandra Finder, D 2006, 105 Min.