: Tisa: Bundesregierung täuscht
FREIHANDEL Beim multilateralen Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen geht es auch um die öffentliche Daseinsvorsorge – doch Berlin behauptet das Gegenteil
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
Die Bundesregierung täuscht den Bundestag mit falschen, irreführenden und widersprüchlichen Angaben zu Inhalten, Zielsetzung und Geheimhaltungsgrad der seit März 2013 in Genf geführten Verhandlungen über ein multilaterales Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, Tisa). In einer letzte Woche veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt die Regierung mehrfach, es sei „nicht Ziel oder Inhalt der Tisa-Verhandlungen, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren“. Diese Aussage ist falsch.
In den Verhandlungsmandaten der EU-Kommission sowie der Regierungen der USA und Australiens – die drei Hauptinitiatoren der seit März 2013 zwischen 50 Staaten, aber außerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) geführten Tisa-Verhandlungen – heißt es übereinstimmend: „Die Tisa-Verhandlungen umfassen sämtliche Dienstleistungssektoren.“ Ausdrücklich erwähnt werden dann Energieversorgung, Transportwesen, Finanzdienstleistungen, Kommunikation und Postdienstleistungen, öffentliches Beschaffungswesen sowie „neue Regeln für nationale Regulierungen, um sicherzustellen, dass diese Regulierungen kein Hindernis bilden für den internationalen Handel mit Dienstleistungen“. Das Verhandlungsmandat der EU-Kommission wurde im Herbst 2012 beschlossen – nach vorheriger Zustimmung der Wirtschafts- und Handelsminister der damals noch 27 EU-Staaten.
Die Formulierungen aus den Mandaten der drei Hauptinitiatoren für ein Tisa-Abkommen wurden auch in das Grundlagendokument übernommen, das die 50 beteiligten Staaten zu Beginn ihrer Verhandlungen vereinbarten. Ausgeschlossen wurde kein einziger Dienstleistungssektor.
Das Grundlagendokument beschreibt das angestrebte Abkommen als „Fortentwicklung“ des Mitte der 90er Jahre im Rahmen der WTO vereinbarten „Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen“ (Gats) und zitiert die „Ausnahmeregel“ für öffentliche Dienstleistungen aus dem ersten Artikel des Gats. Die Bundesregierung verweigerte auf die Frage der Linksfraktion, welche Dienstleistungssektoren die EU am Tisa-Verhandlungstisch denn bislang zur Marktöffnung angeboten habe, eine konkrete Antwort und erklärte lediglich, das EU-Angebot orientiere sich „an der Struktur des Gats“. Das ist grob irreführend. Denn die Ausnahmeregel in Artikel 1 des Gats gilt nur für „ öffentliche Dienstleistungen, die nicht kommerziell angeboten werden und auch nicht in Konkurrenz zu einem oder mehreren anderen Anbietern.“ Und sie gilt auch nur für solche öffentlichen Dienstleistungen, für die Regierungen oder lokale Behörden „keine Gebühren erheben“.
Diese Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Liberalisierung waren schon zu Zeiten der Gats-Verhandlungen häufig nicht mehr gegeben. Heute dürfte kein einziger Sektor mehr existieren, der diese Bedingungen noch erfüllt – auch nicht bei der Wasserversorgung oder im Gesundheits- oder Bildungswesen.
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