: SPD streitet über Pflegereform
ALTER Parteilinke will die Pflegepläne von Gesundheitsminister Gröhe (CDU) stoppen. Fraktionsvize Lauterbach stellt sich dagegen
AUS BERLIN HEIKE HAARHOFF
Zwischen der SPD-Fraktionsspitze und der SPD-Arbeitsgruppe Gesundheit im Bundestag bahnt sich ein handfester Streit um die Ausgestaltung der Pflegereform an. Die elf Mitglieder der SPD-Arbeitsgruppe unter Vorsitz der gesundheitspolitischen Sprecherin Hilde Mattheis lehnen nach Informationen der taz Kernstücke des Pflegereformgesetzes von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) strikt ab. Sie fordern Nachverhandlungen, insbesondere zum sogenannten Pflege-Vorsorgefonds. Zum Unmut der SPD-Fraktionsführung, der der schwarz-rote Koalitionsfrieden wichtiger ist. „Das, was sich einige in der Fraktion vorstellen, wird es mit der Fraktionsspitze nicht geben“, stellte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach am Donnerstag klar. Am heutigen Freitag wird der Bundestag das Gesetz in erster Lesung debattieren.
Die Diskrepanzen betreffen den Pflege-Vorsorgefonds. Das ist ein Sondervermögen, in dem laut Gröhes Gesetzesvorlage über 20 Jahre Geld angespart werden soll, um ab 2035, wenn die Babyboomer pflegebedürftig werden, die steigenden Ausgaben abzufedern. 0,1 Beitragssatzpunkte pro Jahr sind für den Fonds ab 2015 vorgesehen, das entspricht etwa 1,2 Milliarden Euro jährlich. Doch Versichertenbeiträge, mit denen am Kapitalmarkt spekuliert wird, sind im Zweifel verlorene Beiträge, warnt die SPD-Gruppe um Hilde Mattheis seit Monaten. Selbst die Bundesbank, die den Fonds verwalten soll, hatte seinen Sinn zuletzt öffentlich in Frage gestellt.
Vor wenigen Tagen fasste die SPD-Arbeitsgruppe daraufhin einen Beschluss: Sie fordert, die jährlichen 1,2 Milliarden Euro lieber in die Ausbildung von Pflegekräften zu stecken und dies ins laufende Gesetzgebungsverfahren hineinzuverhandeln. Aus dem Vorsorgefonds solle ein Ausbildungsfonds werden. Die Träger, die derzeit unter den Ausbildungskosten ächzen, würden so entlastet. Rund 70.000 Menschen könnten so pro Jahr zusätzlich als Pflegefachkräfte ausgebildet werden, ließ sich die Arbeitsgruppe von der Gewerkschaft Ver.di ausrechnen. Und von diesen Fachkräften hätten die Pflegebedürftigen in 20 Jahren mehr Nutzen. Schon heute fehlten in Deutschland 16.000 Pflegerinnen und Pfleger.
Doch der SPD-Fraktionsvize Lauterbach, selbst SPD-Linker und ausgewiesener Gesundheitsexperte, widerspricht diesem Ansinnen nun vehement. Seine Fraktionskollegen mahnte er zur Disziplin: „Der Vorsorgefonds ist im Koalitionsvertrag als Rücklage verhandelt worden für die kommende Generation“, sagte Lauterbach der taz. „Wir werden ihn nicht zweckentfremden, so wie manche in der Fraktion sich das jetzt vorstellen.“ Während der Koalitionsverhandlungen mit der CDU im vergangenen Jahr war es Lauterbach nicht gelungen, den bereits damals von der SPD viel kritisierten Fonds zu verhindern. Richtig sei aber, so Lauterbach, dass „die Ausbildungsfinanzierung in der Pflege nicht zufriedenstellend ist“. Hierüber „müssen und werden wir diskutieren“, sagte er.
Die Pflegereform von Minister Gröhe sieht vor, dass zur Verbesserung der Pflegeleistungen die Beitragssätze in dieser Legislaturperiode von derzeit 2,05 Prozent des Bruttoeinkommens (Kinderlose: 2,3 Prozent) schrittweise um insgesamt 0,5 Prozentpunkte angehoben werden sollen. Das entspricht jährlichen Mehreinnahmen von knapp 6 Milliarden Euro. Eine so hohe Anhebung hat sich bislang keine Regierung seit Einführung der Pflegeversicherung vor 20 Jahren getraut. Ab 2015 soll der Beitragssatz zunächst um 0,3 Punkte steigen; später sollen dann weitere 0,2 Punkte dazukommen.
Der Löwenanteil der Mehreinnahmen der ersten Tranche kommt jedoch gar nicht unmittelbar bei den Bedürftigen in Form verbesserter Leistungen an: Allein 880 Millionen Euro werden jährlich gebraucht, um die schon bestehenden Versicherungsleistungen der allgemeinen Inflation anzupassen. Weitere 1,21 Milliarden sind pro Jahr für den Fonds vorgesehen.
Die Regierung verspricht zudem, dass Demenzkranke künftig dieselben Leistungsansprüche haben sollen wie Menschen mit körperlichen Einschränkungen; ab wann genau diese Regelung gelten soll, lässt das Gesetz indes offen.