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Archiv-Artikel

Täuschen, tarnen und töten

Magnus-Sebastian Kutz enthüllt akribisch, wie die US-Regierung Informationen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen so manipulierte, dass sie am Ende selber fest daran glaubte

Iraks Präsident Saddam Hussein hat Anthrax und Atomwaffen herstellen lassen und steht außerdem in engem Kontakt zu der Terrororganisation al-Qaida. Diese pathetischen Anklagen von US-Präsident George W. Bush und anderen amerikanischen Politikern klingen noch nach, obwohl sie sich als falsch erwiesen haben. Das damals systematisch verbreitete Lügengeflecht zur Rechfertigung des Krieges ist angesichts von dessem missglückten Verlauf längst zur schwersten Belastung für die Regierung von George Bush geworden.

Unklar ist allerdings nach wie vor, wie dieses Netz aus Lügen und Halbwahrheiten in den Jahren 2002 und 2003 entstehen konnte. Haben George Bush, seine Minister Colin Powell und Donald Rumsfeld, aber auch Englands Premier Tony Blair die Welt in einem seit Goebbels’ Zeiten einzigartigen Propagandacoup belogen? Oder waren sie selbst die ersten Opfer ihrer eigenen Informationspolitik, da sie erst Fakten erfanden und in Umlauf brachten, an die sie dann selbst zu glauben begannen?

Dieser Frage geht Magnus-Sebastian Kutz in seinem Buch „Public Relations oder Propaganda?“ systematisch nach, indem er umfangreich Reden, Presseberichte und US-Regierungsdokumente auswertet. Dadurch gelingt es ihm nachzuweisen, dass die Behauptungen führender amerikanischer Politiker über Saddams Waffenarsenale und seine Kontakte zum internationalen Terrorismus nicht nur falsch waren, sondern von Bush und seinen Ministern wider besseres Wissen vorgetragen wurden. Denn sie wollten öffentlich rechtfertigen, warum sie den Krieg gegen den Irak unbedingt führen müssten.

Verantwortlich für diese Manipulation der Wahrheit macht Kutz vor allem zwei neu geschaffene Institutionen, die Amerika und den Rest der Welt auf den Krieg einstimmen sollten: die White House Iraq Group, in der die wichtigsten Berater von Bush versammelt waren, und das im Januar 2003 gegründete und ebenfalls im Weißen Haus angesiedelte Office of Global Communication.

Statt „wahrheitsgemäße, akkurate und effektive Botschaften über die Vereinigten Staaten, ihre Regierung und Politik sowie das amerikanische Volk und seine Kultur“ zu verbreiten, wie es in dessen Gründungsauftrag vorgesehen war, machten diese beiden Institutionen das Gegenteil. Sie propagierten wahrheitswidrig die Gefährlichkeit des Iraks, um die Zweifel von Geheimdiensten und Öffentlichkeit im Hinblick auf irakische Massenvernichtungswaffen zu zerstreuen.

Detailliert untersucht Kutz die rhetorischen Muster und immer wiederkehrenden Themen der US-amerikanischen Kriegsbegründungspropaganda – bis zu jenem Punkt im Mai 2003, wo das ganze Lügengebäude zusammenstürzte. Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz erklärte damals, man habe das Thema Massenvernichtungswaffen nur „aus bürokratischen Gründen“ so groß herausgestellt, da man glaubte, es könnte quer durch die US-Regierung akzeptiert werden. Für Kutz ist das Fazit damit klar: „Es handelte sich um Propaganda, wie sie kaum präziser der Definition entsprechen könnte.“ Und er fügt hinzu: „Die enthaltenen Behauptungen waren falsch – auch wenn die Beteiligten daran glaubten.“

Die Täuschung der Welt ging also mit der Selbsttäuschung der Handelnden einher. Denn letztlich regierten die künstlich geschaffenen Bilder, Argumentationszusammenhänge und Sachzwänge die Realität. Sie wurden wahr dadurch, dass sie in den Kreislauf der öffentlichen Kommunikation gepumpt wurden, fortan Bestandteil des Diskurses waren und irgendwann als „Fakten“ selbst zu ihren Urhebern zurückflossen.

Hannah Arendt hat diesen Mechanismus in ihrem berühmten Essay „Die Lüge in der Politik“ mit Blick auf den Vietnamkrieg beschrieben: „Wenn die Staatsgeheimnisse die Köpfe der Akteure selber so vernebelt haben, dass sie die Wahrheit hinter ihren Täuschungsmanövern und ihren Lügen nicht mehr erkennen oder sich an sie erinnern, dann wird das ganze Täuschungsvorhaben, wie gut auch immer seine ‚Marathon-Informationskampagnen‘ […] und wie raffiniert ihre Reklamemethoden sein mögen, scheitern oder das Gegenteil bewirken, d. h. es wird die Leute verwirren, ohne sie zu überzeugen.“ Genauso geschah es auch im Fall Irak. Die Folgen davon sind weitreichend. Dies herauszuarbeiten, ist das Verdienst von Kutz’ Untersuchung.

THYMIAN BUSSEMER

Magnus-Sebastian Kutz: „Public Relations oder Propaganda? Die Öffentlichkeitsarbeit der US-Administration zum Krieg gegen den Irak 2003“. Lit Verlag, Münster 2006, 160 Seiten, 19,90 Euro